So ziemlich genau vor fünf Jahren hatten wir Einstein aus der Tierklinik zurückgeholt. Die Mediziner diagnostizierten einen Tumor und empfahlen das Einschläfern in der heimischen Wohnung, „da der Hund sowieso nicht mehr aufstehen könne“.  (1,5 Jahre zuvor hatten wir das Tier in der gleichen Klinik diesbezüglich operieren lassen.) Als ich betrübt über diese Nachricht die Klinik verlies, um den Kombi für die Rückfahrt unseres Lieblings vorzubereiten, stand der Hund jedoch widererwarten auf und wollte mit mir des Weges gehen. „Noch einmal geht mein Herrchen nicht ohne mich!“ …muss ihm sein (An-) Trieb gesagt haben. Die Klinikärztin hielt vor Überraschung die Hände vor den Mund. Unterwegs hielten wir an, damit sich Einstein erleichtern konnte. Siehe da, er konnte bereits einige Schritte (wieder) gehen. Nach Absprache mit unserer Haus-Tierärztin wurde er nicht eingeschläfert, da sein unbändiger Lebenswillen deutlich zu spüren war. Er wollte leben! Deshalb war es keine egoistische Entscheidung, ihm eine Verlängerung seiner irdisch-begrenzten  Spielzeit zu gönnen. Er war schmerzfrei, aber geschwächt und hatte noch vier Wochen Lebenszeit vor sich, in denen er sich erstaunlich gut erholt hatte. 30 Tage Lebensfreude, die doch viel zu kurz waren.
Aber der Tumor war leider irreparabel. Einen Tag vor seinem Tod blühte er noch einmal auf, wie zu seinen besten Zeiten, bevor er in unseren Armen starb und für immer über die Regenbogenbrücke ging. Ich habe gehört, dass dieses Aufleben beim Menschen ähnlich sein kann. Eine rationale Erklärung habe ich bisher nicht dafür.

Warten auf das nächste Stöckchen

Vor seinem Tod hatten wir Einstein vier Jahre und acht Monate aus dem Tierheim geholt. Ein Beschlagnahmehund, was zur Folge hat, das wir weder das genaue Geburtsdatum noch etwas aus seiner Vergangenheit, oder dem Beschlagnahmegrund erfuhren. Abgemagert und mit einer Bisswunde, holten wir ihn fünf Tage auf Probe zu uns. Es muss für das geschundene Tier eine Erlösung gewesen sein, er war innerhalb seiner Umzäunung ein hypergestresster erschöpfter Dauerbeller mit heißerer Stimme. Bereits am ersten gemeinsamen  Tag wussten wir bereits, nie wieder ohne Einstein, eigentlich stand unsere Entscheidung schon im Tierheim fest. Auch er schloss uns sofort mit allem was er hat in sein vor Freude schwanzwedelndes Herz. Die Probezeit wurde drastisch verkürzt, der Kaufvertrag perfekt gemacht. Diesmal war für den Hund alles gut gegangen, nachdem er bereits eine Probezeit bei anderen Interessenten „nicht bestanden“ hatte. Seine erstes großes Fressen saugte er förmlich aus dem Hundenapf auf, bevor er schnell lernte, dass er sich damit in aller Ruhe Zeit lassen kann.

Seinen ungewöhnlichen Namen haben wir übrigens beibehalten. Er wurde geschätzte dreizehn Jahre und acht Monate alt. Ein Mischling mit guter Grundkondition, sein Naturell: aufmerksamer Hütehund, neugierig auf die Welt, er hatte davon, bis er zu uns kam, leider nicht viel gesehen. Ein liebenswerter Kerl mit einem riesengroßen Seelen-Herz, er hätte jederzeit sein Leben für sein Menschen-Rudel gegeben. Er war tatsächlich der mit Abstand intelligenteste Hund, den ich jemals hatte. Verstand faktisch alles, keine Ausbildung dafür erforderlich. Es war für ihn sein Größtes, bei seinem „Herde“ zu sein.
Wir werden unseren Einstein nie vergessen. Sein Tod hatte uns zutiefst getroffen, obwohl wir nach seinem Klinikaufenthalt wussten, dass seine Tage gezählt sind. Keine mentale und praktische Vorbereitung darauf, konnte den Schmerz darüber mildern. Einstein starb am 27. 12. 2016, früh um 04:50 Uhr.
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Fünf Jahre sind seitdem vergangen, wie die Zeit vergeht…
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Zum Leben gehört auch das Sterben. Damit sich das Neue entfalten kann, muss das Alte weichen. Der unerbittliche Lauf der Dinge, seit Milliarden Jahren. Auch ich verdränge gern, dass alles Leben, auch das eigene, endlich ist. Wenn ich dann plötzlich damit unmittelbar und persönlich in meinem engsten Kreis konfrontiert werde, trifft es mich wie der  Blitz aus heiteren Himmel. Ich habe viele getötete oder verstorbene Menschen in meinem Berufsleben erlebt, nicht wenige vom Strick abgeschnitten. Ich konnte damit immer gut, distanziert und problemlos umgehen. In der Polizei gibt es leider sehr viele Suizide. Ein Kollege erschoss sich einst auf der Toilette der Dienststelle, andere im eigenen Fahrzeug. Unnötig Verstorbene, wenn das persönliche- und Arbeitsumfeld funktioniert hätten. Was ist tatsächlich wichtig im Leben? Die ständige Hatz nach dem goldenen Kalb oder etwas ganz anderes? Warum sind arme Völker glücklicher als wir Deutschen? Die Friedhöfe liegen voller „unersetzbarer“ Menschen. Ich möchte nicht abschweifen.
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Was ein Tier vom Menschen unterscheidet, sie denken nicht darüber nach, was ist, wenn der Tag des Abpfiffs heranrückt. An Altersschwäche oder einer Krankheit sterben, ist für Tiere nichts Besonderes. Deshalb habe ich Wert darauf gelegt, beim unmittelbaren Sterbevorgang von Einstein keine Trauer zu zeigen. Soviel Selbstkontrolle und Verantwortung musste sein. Er sollte nicht beunruhigt in die ewigen Jagdgründe eingehen. Erst danach brach es aus uns heftig heraus.
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(Zum Titelfoto 1: Sitze auf dem Boden vor dem Sofa, weil ich wusste, dass er gern seinen Kopf auf meine Schultern legt. Damit er weicher liegt, habe ich mir eine rote Decke umgelegt. Es waren bereits seine Tage gezählt. Damals benötigte ich noch eine Brille.
Titelfoto 2: Einstein im besten Alter.)
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Momentaufnahmen aus dem Leben Einsteins:
Bild 1: Stöckchen aus dem Wasser holen, Einstein in seinem Element
Bild 2: Auch der beste Hund muss sich einmal ausruhen
Bild 3: Mit Einstein an der Ostsee, Rügen