Autor: Wolfgang Meins
Wenn selbst das Bundesverfassungsgericht den Weg für den „Klimaschutz“ ebnet, wird Aberglauben schnell zu Realpolitik. Da kann eine Richterin den Hausfriedensbruch eines „Baumbesetzers“ begnadigen und die Umweltschutzorganisation BUND die Regierung wegen „Verstoßes gegen die Klimaziele“ verklagen.
Der eine oder andere Leser wird sich vielleicht noch an das wegweisende Urteil des Amtsgerichts Flensburg vom November letzten Jahres erinnern, das allerdings noch nicht rechtskräftig ist. Die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt. Was war geschehen? Das Gericht hatte einen 41-jährigen Mann freigesprochen, der über mehrere Tage auf einem Privatgrundstück einen Baum „besetzt“ hatte, um gegen dessen Rodung zu protestieren beziehungsweise diese zu verunmöglichen. Auf dem Grundstück in unmittelbarer Nähe zum Flensburger Bahnhof sollte – nach erfolgter Baugenehmigung – mit der Errichtung eines Hotels samt Parkhaus begonnen werden, zunächst mit den Rodungsarbeiten. Doch dazu kam es bisher noch nicht, der Bau ruht, wenn er denn wegen der mit jedem Monat weiter ansteigenden Kosten überhaupt jemals wieder aufgenommen wird.
Vielmehr könne der Angeklagte für sich in Anspruch nehmen, aus einem „Notstand“ heraus gehandelt zu haben. Er habe, so die Richterin in ihrer sehr ausführlichen Urteilsbegründung, eine gegenwärtige Gefahr für den Klimaschutz abwenden wollen. Natürlich hat dieses Urteil sowohl unterstützende als auch ablehnende Stimmen in der Welt der Rechtswissenschaften ausgelöst. Die reichen von „mutig“ und „eine absolute Ausnahmeentscheidung“ bis hin zur nüchternen Feststellung, dass in einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie Klimaschutz kein Rechtfertigungsgrund für Straftaten sei. Befürworter des Urteils argumentieren, dass der sogenannte Notstandsparagraf unter der Bedingung, dass die Maßnahmen des Staates die Gefahren des Klimawandels nicht ausreichend abwehrten, Handlungen wie die des Baumbesetzers legitimieren können.
Als klassisches Beispiel für die berechtigte Anwendung des Notstandsparagrafen gelten Bergwanderer, die in eine private Schutzhütte einbrechen, um sich vor den unmittelbar drohenden Gefahren eines aufziehenden, potenziell lebensgefährlichen Gewitters zu schützen. Der Autor dieser Zeilen möchte es dem Leser überlassen, nach Parallelen zwischen der Situation des Baumbesetzers und der Bergwanderer zu suchen – mir sind so recht keine überzeugenden eingefallen, aber ich bin auch kein Jurist.
Am Ende stehen Sofortprogramme
Diskutiert wurde naturgemäß auch die Bedeutung des Klima-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVG) vom Frühjahr letzten Jahres. Ohne den, so etliche Stimmen, wäre eine solche Entscheidung wie die in Flensburg nicht möglich gewesen – es habe sich dadurch etwas „verschoben“. Wie weit und wohin genau, darüber gehen dann die Meinungen auseinander. Aber, erinnern wir uns: Im Kern geht es bei dem BVG-Beschluss zum Klimaschutz darum, dass das seinerzeitige Klimaschutzgesetz als verfassungswidrig eingestuft wurde, weil „hinreichende Maßgaben für die weitere (CO2-) Emissionsreduktion ab dem Jahre 2031 fehlen“.
Vahrenholt und Lüning haben in der Broschüre „Unanfechtbar?“ sich damals rasch und in 35 Abschnitten mit den teils hanebüchenen naturwissenschaftlichen Schwachstellen und Fehlern dieses durch und durch alarmistischen Beschlusses auseinandergesetzt. Ungeachtet dessen wurde ungewöhnlich rasch ein neues Klimaschutzgesetz mit einem längeren Zeithorizont und noch ambitionierterer Reduktion von CO2-Emissionen für die verschiedenen Sektoren vom Bundestag verabschiedet.
Eine vergleichsweise leichte Übung für Politiker, sich einfach auf höhere Prozentzahlen festzulegen. Aber die Probleme tauchen dann natürlich bei der Umsetzung auf. So ist mittlerweile absehbar, dass die (kurzfristigen) Reduktionsziele überwiegend verfehlt werden. Als Konsequenz des BVG-Beschlusses verklagt jetzt der BUND die Bundesregierung wegen Verstoßes gegen die gesetzlichen Klimaziele und fordert, ebenfalls im Einklang mit dem BVG-Beschluss, „Sofortprogramme“, also eine Art Notverordnung zur CO2-Reduktion.
Agitprop auf allen Kanälen
Es ist aber nicht nur dieser höchstrichterliche Beschluss, der etwas „verschoben“ hat, sondern auch die in den letzten Jahren drastisch zugenommene und immer weiter medial angefachte Panik und Hysterie, die sich in Begriffen wie „Klimanotstand“ und „Klimakatastrophe“ widerspiegeln, dem angeblichen „Verbrennen“ der Erde oder gar „Kochen“ der Ozeane und natürlich der in immer wieder neuen Varianten aufgelegten Warnung vor dem sich – nun aber wirklich – endgültig schließenden Zeitfenster.
Hinzu kommen jede Menge subkutane Botschaften, die uns mittlerweile mit der größten Selbstverständlichkeit allerorten begegnen, wenn sie denn überhaupt bewusst wahrgenommen werden. Beispielsweise lässt bei der kürzlichen Verleihung von Auszeichnungen für Deutschlands nachhaltigste Sportvereine der Bundespräsident mal eben so den Spruch los, dass bei Nichteinhaltung des 1,5-Grad-Ziels Fußball auf einem grünen Rasen ja nicht mehr möglich sei, schon deshalb müssten Fussballvereine ein Interesse daran haben, und so weiter und so fort.
Nun gut. Nur in einer solch aufgeheizten Atmosphäre, die stark von Vereinfachungen, Übertreibungen und Zuspitzungen sowie einem steten Framing charakterisiert ist, kann überhaupt erst ein Gefühl der Bedrohung durch den Klimawandel entstehen. Und nur in einer solchen Atmosphäre kann überhaupt erst jemand auf die Idee kommen, einen Baum zu besetzen, um damit etwas für den „Klimaschutz“ zu tun, oder ein Gericht auf die Idee kommen, dass hier der Notfallparagraf gefragt sein könnte.
Und das, obwohl es sich um eine rein symbolische oder auch propagandistische Aktion handelt: Weder schützt sie den Akteur in dem hier bei sachlicher Betrachtung geltenden Zeithorizont von mindestens mehreren Jahrzehnten vor irgendeiner konkreten lebensbedrohlichen Gefahr, noch hat sie überhaupt irgendeinen messbaren Effekt auf das Klima. Diesem einen Baum und seiner „Rettung“ kommt bei der hier interessierenden globalen Klimaentwicklung – bei sehr wohlwollender Betrachtung – allenfalls die Potenz eines Tropfens im weltweiten Ozean zu. Es dürfte in erster Linie die Haltung gewesen sein, die durch das Urteil rechtlich geadelt werden sollte.
Die Falschheit der eigenen Aussage überwinden
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Baumbesetzer auch dann aktiv geworden wäre, wenn es nicht um den Bau eines Hotels samt Parkhaus, sondern um den einer Flüchtlingsunterkunft gegangen wäre. Und falls ja, wie dann wohl das Gericht entschieden hätte. Aber solche Fragen zu stellen, heißt, sie zu beantworten. Denn zwischen beiden Themen herrscht in den einschlägigen grünen Kreisen zweifellos eine starke ideologische Koinzidenz. Wer sich, egal an welcher Front genau, als Klimaaktivist verortet, der wird wahrscheinlich – selbstverständlich völlig unbelastet von der herrschenden Wohnungsnot – auch tönen: „Wir haben Platz.“ Und dabei, neben anderen Aspekten, problemlos ignorieren, dass mit jedem Grenzübertritt eines „Schutzsuchenden“ sich zwingend auch dessen CO2-Fußabdruck anhaltend vervielfacht.
Aber solche Inkonsistenzen zu kritisieren, ist eigentlich müßig. Handelt es sich bei den Grünen und ihren Sympathisanten doch ganz überwiegend um eine quasi religiöse Erweckungs- und Erlösungsgemeinschaft – allerdings ohne jede transzendente Tiefe –, bei der deshalb die Realität und deren möglichst ideologiefreie Wahrnehmung keine Priorität genießt. Dabei kommt den Grünen samt Anhang zugute, dass vor drei bis vier Jahrzehnten eine ähnliche Ideologisierung auch in den Wissenschaften deutlich Fahrt aufgenommen hat.
Begünstigt durch die totale Säkularisierung und damit auch den Wegfall religiöser Dogmen als Gegenmodell von Wissenschaft, hat vor allem die Fähigkeit gelitten, durch kritisches Vorgehen die Falschheit der eigenen Aussage zu überwinden, prägnanter: überhaupt überwinden zu wollen. So ist von Wissenschaft als organisierter Skepsis mittlerweile nicht mehr viel übrig geblieben, wie Boris Kotchoubey in seinem fulminanten Achgut-Essay „Wissenschaft, Religion, Größenwahn“ am Beispiel der antiepidemischen Coronamaßnahmen überzeugend nachweist: „Als Ergebnis haben wir zu jeder aktuellen Frage eine einzige und unhinterfragbare wissenschaftliche Meinung, und jeder Versuch, darüber zu diskutieren, wird als wissenschaftsfeindlich gebrandmarkt.“ Das kommt einem langjährigen Beobachter der Klimawandel-Diskussion doch sehr bekannt vor.
Hat sich ein solch nicht mehr hinterfragbares wissenschaftliches Mega-Narrativ wie das einer nahezu ausschließlich menschengemachten globalen Erwärmung durchgesetzt und fest etabliert, dann schlägt auch die Stunde der wissenschaftlichen Hilfstruppen. Die wollen nun ebenfalls von den reichlich sprudelnden Fördergeldern profitieren, wobei Skepsis in Bezug auf grundlegende oder auch speziellere Aspekte des Mega-Narrativs in vielerlei Hinsicht ausgesprochen hinderlich wäre.
Ein schönes Beispiel dafür bietet die Uni Erfurt, wo im Januar 2023 das „Institut für klimagesundes Verhalten“ seine Arbeit aufgenommen hat. Das Team, so heißt es auf der Website ganz unschuldig, „möchte z. B. auch die Akzeptanz von Maßnahmen zur Unterstützung von Systemänderungen besser verstehen. Es wird dabei verhaltenswissenschaftliche Werkzeuge (…) erarbeiten, die zu einer klimagesunden Zukunft beitragen“. Da trifft es sich gut, dass die Instituts-Direktorin in den vergangenen Jahren vorzugsweise zu sozialen Aspekten „im Kontext des Impfens und der Impfgegnerschaft“ geforscht hat.
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im sozial- und zivilrechtlichen Bereich. Prof. Meins ist Mitautor des Buches „Die hysterische Republik“.
Der Beitrag erschien zuerst auf achgut.com
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