Ein Mann wird auf offener Straße regelrecht abgeschlachtet. Bilder der bestialischen Straftat machen die Runde, Videos werden verteilt und in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. Das Opfer bekommt einen Namen und ein Gesicht, es wird damit verewigt. Die Stuttgarter Polizei sieht sich veranlasst, eine Liste mit Verhaltensregeln zu veröffentlichen, „die helfen sollen, sollte es zu dem seltenen Fall der Konfrontation mit einem Bewaffneten kommen.“
Die Tipps sind knapp gehalten, richtig ist, eine räumliche Distanz zum Täter aufzubauen, um sofort die Polizei zu informieren. Keinesfalls sollte man die unmittelbare Konfrontation mit einem bewaffneten Täter suchen, es sei denn, man hat soeben die Weltmeisterschaft in Karate gewonnen oder muss um sein eigenes Überleben kämpfen.
Deutlich umfangreicher werden die Tipps, wenn es um Videos und deren Verbreitung geht, ich zitiere:
- Verbreiten Sie keine Meldungen aus den sozialen Netzwerken, die anscheinend von weiteren Angriffen berichten – dadurch vermeiden Sie Panik
- Leiten Sie keine Bilder oder Videos von vermeintlichen Angriffen weiter
- Videos können als Beweismittel aufgenommen werden, die Weiterveröffentlichung kann aber strafbar sein
- Videos von Bluttaten sollten beim Portalbetreiber gemeldet und bei der Polizei angezeigt werden
Der Kriminaloberrat legt dabei besonders Wert auf die sozialen Medien, allein vier Tipps handeln davon. Das ist jedoch bei einer unmittelbaren Gefahrenabwehr für Leib und Leben bestenfalls sekundär und ein Nebenkriegsschauplatz. Dass Opfer Persönlichkeitsrechte haben, sollte selbstverständlich sein, deshalb ist die Veröffentlichung derartiger Videos nicht gestattet. Nicht einfach in einer Welt, in der andererseits Medien mit Blut und Eisen Sensationsgier erzeugen, um damit Auflage zu machen.
Wer diese Empfehlungen liest, erspürt die latente Angst, die öffentliche Meinung könnte einem aus der Hand gleiten. Nicht durch das Verbreiten von Videos und Meldungen werden Paniken erzeugt, sondern durch schwere öffentlichkeitswirksame Verbrechen, bei denen Menschen sinnlos zu Schaden kommen. Ebenso dadurch, wenn man Sachverhalte der Öffentlichkeit verschweigt. Politik und Polizei müssen sich unabhängig von einer strafrelevanten Bewertung damit abfinden, dass Videoaufnahmen und soziale Netzwerke bis hin zu Liveübertragungen eine zunehmende Rolle spielen und die Wahrnehmungen breiter Bevölkerungsschichten beeinflussen. Auch wenn das nicht gern gesehen und oftmals illegal ist, so ist das eine zunehmende Lebensrealität.
Das beste Mittel, um Panik zu vermeiden, wäre vielmehr folgendes: Jedes antisoziale Verhalten muss zeitnah und konsequent geahndet werden. Es erschüttert das Vertrauen der Bevölkerung in einem gefährlichen Maß, wenn Täter in der Anonymität verschwinden können, mit geringen Strafen davon kommen oder sich hinter angeblichen psychischen Erkrankungen, Drogen oder Alkohol verstecken können. Dann besteht bei vielen Tätern die Gefahr, dass sie in immer kürzeren Abständen immer tatintensivere Verbrechen begehen.
Wenn wir uns drei bekannte Morde anschauen, so liegt genau hier der Hase im Pfeffer. Der Schwertmörder von Stuttgart war bereits polizeibekannt, da wegen Ladendiebstahls und Sachbeschädigung vorbestraft. Ebenso der Serbe, der in Voerde eine Frau vor den einfahrenden Zug gestoßen hatte. Auch dieser Täter war bereits wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und Sachbeschädigung vorbestraft. Der Eritreer, der in Frankfurt ein achtjähriges Kind vor einen einfahrenden Zug stieß und tötete, war bereits mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten. Der Haftbefehl lief ins Leere, der Täter wurde bereits faktisch medial freigesprochen, weil er angeblich unter einem „Verfolgungswahn“ leiden würde. Immerhin will das sein Hausarzt festgestellt haben. Ein diesbezügliches Gutachten durch einen Facharzt ist nicht bekannt, trotzdem wird die angebliche Erkrankung bereits als feststehende „Tatsache“ allseits entlastend kommuniziert.
Das Auto als Waffe?
Panik kann man auch vermeiden, wenn man keine abenteuerlichen Ratschläge verteilt. So wird im Artikel der Stuttgarter-Zeitung angeraten:
- Als letztes Mittel kann man einen Täter auch gezielt mit dem Auto anfahren – die Staatsanwaltschaft bewertet den konkreten Einzelfall
Das hervorgehobene Teil beschreibt auch gleich das grundsätzliche Problem bei solchen „Empfehlungen“, innerhalb weniger Sekunden eine rechtlich korrekte Güterabwägung in Verbindung mit der notwendigen Eigensicherung zu treffen. Die Tat richtig zu bewerten, dürfte die meisten deutlich überfordern, zumal wenn man mit dem Auto gerade zufällig dazukommt. Nicht alle Verbrechen spielen sich so eindeutig „auf den ersten Blick“ ab. Was ist, wenn zum Beispiel das Opfer dem Täter das Messer entreißen konnte? Den Verteidiger damit zu bestrafen, indem er umgefahren wird, wäre eine fatale Verwechslung. Polizisten und andere Fachleute sind darauf trainiert und konditioniert, solche Entscheidungen innerhalb kurzer Zeit zu treffen, mitunter in Zehntelsekunden. Zu beachten wäre außerdem: drei Juristen – drei Meinungen. Ich hoffe, der freiwillige Helfer gerät dann an einen Staatsanwalt, der ihm bei der „Einzelfallbewertung“ gut gesonnen ist. Vor Gericht und auf hoher See ist man mitunter in „Gottes Hand“.
Davon einmal abgesehen, dass den meisten Menschen, im Gegensatz zu Tätern, die Entschlossenheit und Fähigkeit fehlen, andere vorsätzlich schwer zu verletzen, schon gar nicht, wenn man nicht selbst bedroht wird. Selbst Polizisten oder Bundeswehrangehörige, die ihre Waffe gegen Menschen einsetzen mussten, können im Anschluss, trotz psychologischer Betreuung, an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erkranken und müssen in der Folge aus dem aktiven Dienst ausscheiden.
Trotzdem, wer es sich zutraut unmittelbar selbst und konfrontativ einzugreifen, dem kann und will ich nicht vom Gegenteil überzeugen. Ich warne nur ausdrücklich vor „Bruder Leichtfuß“ und Selbstüberschätzung. Die Friedhöfe sind voll mit posthum hochdekorierten Helden. Helfen kann man auch, ohne sich unnötig selbst zu gefährden.
Ein anderes, mindestens genauso wichtiges Problem nennt sich „Verantwortungsdifussion“. Dieses Phänomen ist weltweit verbreitet und häufig vorzufinden. Dort wo viele Personen Zeuge eines Vorfalls werden, fühlt sich keiner dafür verantwortlich, Hilfe zu organisieren oder überhaupt etwas zu tun. Nehmen Sie die Dinge in die Hand, sprechen Sie gezielt einzelne Menschen an: Sie in der grünen Jacke, rufen Sie den Rettungswagen, usw. Das alles natürlich aus einer sicheren Distanz, solange der Täter in der Nähe ist. Eigensicherung hat Vorrang.
Steffen Meltzer Ratgeber Gefahrenabwehr – So schützen Sie sich vor Kriminalität – Ein Polizeitrainer klärt auf
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