Warum Gesellschaften kollektiv ähnlichen Halluzinationen, Wahn und Denkstörungen unterliegen können, wie Individuen. Und was das vor allem mit dem zur klinisch anmutenden Geisterbahn gewordenen Merkel-Deutschland zu tun hat. Ein kombinierter Blick aus klinischer und verhaltensökonomischer Perspektive.
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Einleitende Bemerkungen
Just in dem Moment, in dem Sie diese Zeilen lesen, freuen sich im reichlich unpolitisch gewordenen politischen Berlin die neuen Stars aus der Daily-Soap „Wir wollen regieren. Und das ist alles ausgerechnet!“ über ihre Erfolge. Schicke Instagram-Fotos und dramatische Insight-Berichterstattungen (Lindner empfiehlt ein Klima-Ministerium! Cannabis-Freigabe! Wir wollen nicht neben der AfD sitzen!) inklusive. Die neue „Fortschrittskoalition“, ein Blockflöten-Substrat aus roten Grünen, grünen Grünen und gelben Grünen, freut sich vor allem an sich selbst: Man fühlt sich erinnert an diese herrlichen Fotos vom majestätischen Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft im Frühherbst 2017: Aufbruch, ach, überall Aufbruch – bis der Abbruch kam.
Nun wird es diesmal mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht Christian Lindner sein, der im Dunkel vor die Presse tritt, um zu erklären, dass Nicht-Regieren besser als Schlecht-Regieren sei. Im Gegenteil: Das simulierte Regieren in der Parallelwelt des besten! und schönsten! (und, möchte man laut rufend hinzufügen: fortschrittlichsten!) Deutschlands 2021 ist viel besser als das Schlecht- oder Nicht-Regieren des Jahres 2017: Aufbruch, ach, überall Aufbruch – bis der Abbruch kommt.
Die Regierungssimulanten 2.0 haben von Doktor Angela Dorothea Merkel, der Regierungssimulantin 1.0, fleißig gelernt: Immer so tun, als ob man hart arbeite, möglichst komplett reale, konkrete Probleme ignorieren und diametral umgekehrt möglichst herbeihalluzinierte, abstrakte Probleme elefantös dramatisieren: Wer atemlos! die Welt! und das Klima! retten muss, der hat schlicht keine Zeit für so alt-weiß-männliche Langweiler wie Rente, Demographie oder, Allah bewahre!, unkontrollierte Zuwanderung.
So weit, so ungut. Das kennen Sie. Die Frage ist: Warum konnte es in einer stabilen, pluralistischen Demokratie einer absolut durchschnittlichen Frau gelingen, 16 lange Jahre Zeit zu vertun, Perlen in Fantastilliarden-Höhe vor die Sau zu werfen, nicht ein einziges Reformprojekt zu initiieren sowie eine institutionelle Proto-Autokratie zu installieren – und dafür dann auch noch von einer Mehrheitsgesellschaft über den Maßen gefeiert zu werden?
Dafür gibt es mögliche Erklärungsansätze aus der klinischen Psychologie und der Verhaltensökonomik. Beide Perspektiven sind indessen insgesamt wenig erfreulich. Falls Sie also einen angenehmen Tagesablauf planen sollten, könnte es ratsam sein, diesen Artikel erst heute Abend zu lesen.
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Erster Teil: Wie es kommen konnte
Fangen wir von vorne an. Keine Sorge, wir beginnen nicht kurz nach Erkaltung der Erde. Sondern nur am 18. September 2005.[1] Angela Merkel hat an diesem entscheidenden Tag zwei Dinge gelernt: Zum einen, die Deutschen wollen in ihrer Mehrheit keine Reformen mehr. Sie haben es satt. „Agenda 2010“ war genug. Man will jetzt lieber seine Ruhe haben. In der schönen Abendsonne sitzen. Zum anderen, die Kerle der deutschen Politik braucht sie, Angela Merkel, nicht mehr zu jagen. Sie erledigen sich freundlicherweise gleich selbst. Am Ende ihrer toxischen Kanzlerschaft wird es nur zwei Großwild-Exemplare geben, die sie nicht erlegen konnte: Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan. Was, für sich genommen, eine eigene Geschichte erzählt.
Zurück nach Deutschland, 2005: Der Wahlabend vom 18. September erzählt zwei Geschichten. Von atavistischen Männern. Und von saturierten Deutschen. Beide haben etwas gemeinsam: Sie haben sich überlebt, wähnen sich aber im Zenit ihres Seins. Man muss es sich eben leisten können, sich nicht zu erneuern, sich nicht zu reformieren. In diesem mentalen Gemisch entsteht eine der stärksten Halluzinationen des werdenden Merkel-Deutschlands: Wer, wenn nicht wir! Wer sechzig, siebzig Jahre in Folge in Wohlstand und Sicherheit lebt, der macht unwahrscheinlich viel richtig. Das ist, zunächst, die schöne Bestärkung. Und so lebt es sich dann auch in den ersten Merkel-Jahren: Zurückhaltend, sympathisch, offen – das „Sommermärchen 2006“ wird zum zentralen Erleben der Deutschen. Das ist, das war, so weit, so gut. Leider blieb es nicht dabei.
Den ersten mentalen Bruch gab es mit Eintritt der Euro-Krise. Wohlgemerkt, nicht der Banken-Krise. Die blieb kollektiv-mental zunächst bedeutungsneutral, weil sie kaum jemanden betraf. Das änderte sich, als klar wurde, dass der Euro auf der Kippe stand. Plötzlich wurde aus den sympathischen, offenen und zurückhaltenden Deutschen die „Wir-retten-den-Euro“-Deutschen: Von den faulen, arbeitsunwilligen „Pleite-Griechen“ war plötzlich überall zu hören und zu lesen. Eine große deutsche Boulevardzeitung zitierte gar einen Merkel-Diplomaten, der sich darüber echauffierte, dass diese Griechen ja nicht einmal ein Kataster-Amt hätten – ich musste daran später immer wieder schmunzelnd denken, wenn von einem großen deutschen Flughafen die
Rede war. Sei es drum. In dieser Phase bildete sich das „Wer, wenn nicht wir!“. Und dann kam Fukushima. Und der September 2015.
Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Das „Wer, wenn nicht wir!“ war der mentale Bodensatz für das spätere „Wir retten das Klima“ und „Wir retten die Welt“. Fast mochte man diesen Deutschen hinterherspotten: Heute nur der Euro, morgen schon die ganze Welt! Womit der toxische Horizont von Merkel umrissen ist: Ihre Kanzlerschaft bedeutete den Rückfall, klinisch gesprochen: das Rezidiv, in wahnhaft-halluzinierende deutsche Inbrunst, die kollektiv-psychologisch betrachtet mindestens in einem Kontext mit wilhelminischen Traditionen stehen könnte. An irgendeinem Kipp-Punkt („Tipping-Point“) fallen die Deutschen, mal mit Uniformen und Stiefel, mal mit Regenbogenfahnen in manische Denkwelten, in denen sie mit zwar diametral unterschiedlichen Ideologien, aber mental gleichbleibenden Denk- und Ich-Störungen sich selbst und allen Nachbarn ein und dieselben Probleme bereiten. Vielleicht lag Margaret Thatcher 1989 doch nicht ganz falsch, als sie ruppig beschied: Zweimal haben wir sie geschlagen – jetzt sind sie wieder da?!
Der Rest ist, bis hierhin, schnell erzählt. In Sachen Haltung und Moral waren Fukushima und September15 regelrechte Booster: Aus „Wer, wenn nicht wir“ wurde rasch „Wir sind mehr“ und endlich „Wir haben Platz“: Wer kein alter, weißer Schröder mehr sein wollte, musste sich nicht mehr lange mit komplizierten Fragestellungen zur eigenen Persönlichkeits- oder Charakterentwicklung aufhalten – es reichte, einfach für etwas zu sein. Für den Klimaschutz, für Flüchtlingshilfe. Und, so einfach kann Leben sein, wer für etwas ist, ist natürlich automatisch auch gegen etwas: Gegen Rechts, gegen Nazis, gegen (um es abzukürzen) all die XY-phobo-istischen AltWeißMänner, unter die man auch locker AltWeißFrauen wie Alice Schwarzer oder einen Hamed Abdel Samad und einen Ahmad Mansour subsumieren kann. Der Mitläufer von heute tarnt sich eben als Aktivist. Haltung und Moral ist nichts anderes als ritualisiertes, in sprachliche und gestische Routinen gegossenes Herdenverhalten.
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Zweiter Teil: Klinischer und verhaltensökonomischer Blick
Der klinische Blick
Der kollektiv-psychologische Blick kann immer nur sinnbildlich verstanden werden[2]. Dennoch gibt es durchaus Schnittmengen zwischen individual-psychologischen und kollektiven Verhaltensweisen. Eine ganze Reihe von klinischen Phänomenen eines individuell Betroffenen lassen sich, vor allem seit 2015, auch im deutschen Kollektiv als solche betrachten:
– Angstneurose
– Psychose mit persistierenden (anhaltenden) Wahn- und Halluzinationssymptomen
– Bipolare Störung mit überwiegend depressivem Muster und hypomanischer Phase
Nun wollen wir jetzt hier nicht in den Hörsaal wechseln und intensive Störungsbilderlehre betreiben. Insofern nur ein paar Beispiele.
– Die neurotische Angstkomponente der Deutschen lässt sich aktuell trefflich am Umgang mit Covid-19 beschreiben. Während andere Länder um uns herum längst einen adult-konstruktiven (also erwachsenen) Umgang mit der Pandemie pflegen, verharren die Deutschen in einem konstant infantil-destruktiven Modus Operandi. Der Masken-Deutsche als Mehrheitsphänomen versteht zwar weder etwas vom richtigen An- und Ablegen einer Maske, noch hat er gelernt, dass er sie alle rund 20 Minuten wechseln müsste, damit sie ihre virologische Schutzwirkung ausüben kann – macht aber auch nix, wichtig ist das Utensil ja vor allem wegen seines „Ich gehöre dazu“-Signals. Nicht dazuzugehören ist im Merkel-Deutschland die mittlerweile größte Angst.
– Die psychotische Komponente hat viel mit dem Klima-Wahn zu tun, der als Co-Morbidität die Weltuntergangs-Halluzination im Gepäck hat. Wahnhaft übersteigerter Weltrettungsanspruch („Wer, wenn nicht wir?!“) gesellt sich ebenso dazu. Heraus kommt ein gesellschaftliches Patienten-Kollektiv, dem eine gute Portion Haldol als Raumspray möglicherweise beherzt helfen könnte.
– Die manische Komponente erkennt man gut an der seit 2015 ausgeprägten Integrations-Manie, die gleichzeitig als Co-Morbidität des schon in der vorhandenen Psychose-Komponente als Weltrettungsanspruch daherkommt. Alte Regel in der Psychiatrie: Eine Erkrankung kommt selten allein. Soll heißen: Sie hat meistens eine veritable Reihe anderer, zusätzlicher Erkrankungen mit im Gepäck. Die Deutschen haben davon reichlich. Kohl und Schmidt et al. wussten das. Merkel nicht.
Der verhaltensökonomische Blick
Verhaltensökonomen (Wirtschaftspsychologen gehören zu dieser Gruppe) achten auf Gesetzmäßigkeiten kollektiven Verhaltens vorwiegend in wirtschaftlichen Situationen. Herdenverhalten in ökonomischen Trends etwa gehört dazu. Im erweiterten Sinne lässt sich die Ökonomik des Verhaltens (vermutlich hat jeder schon einmal vom „Homo oeconomicus“ gehört) aber auch auf allgemein-gesellschaftliche Situationen anwenden.[3] Zu den drei wesentlichen Selbstbetrügereien mit verhaltensökonomischen Folgen im Alltag, die in Kombination mit den bereits geschilderten klinisch-kollektiven Symptomen das Vollbild des „State of Denial“, des vollständigen Verweigerns der Realwirklichkeit hervorbringen, gehören:
– Die Bestätigungstendenz (Confirmation-Bias)
– Die Selbsttäuschung (Self-Deception-Effect)
– Der Selbstüberschätzungs-Effekt (Overconfidence-Effect)
Auch hier wollen wir nicht in den Hörsaal wechseln und lediglich einige Beispiele nennen.
Zur Bestätigungstendenz gehört unzertrennlich die Eigenschaft, sich ausschließlich mit den Fakten, Zahlen und Ereignissen zu beschäftigen, die eine bereits vorhandene Meinung oder Erkenntnis bestätigen. Fakten, Zahlen oder Ereignisse, die dieser bereits vorhandenen Meinung oder Erkenntnis widersprechen, werden schlicht ausgeblendet. Das ist hier, im Unterschied zum nächstfolgenden Wahrnehmungsdefekt, ein rein intellektueller Vorgang ohne Emotion. So sind antisemitische Taten grundsätzlich Rechts. Eine Abweichung von dieser Erkenntnis findet nicht statt, denn gegen Juden können nur weiße, rassistische Männer sein – andere Täter aus anderen Kulturen müssen nicht bestritten oder verteidigt werden: Es gibt sie schlicht nicht. Nicht statistisch. Und weil nicht statistisch auch sonst nicht. Bums. Aus. Nikolaus.
– Die Selbsttäuschung ist ein anderes Kaliber, denn sie hat emotionale Komponenten. Es kann, schlicht gesagt, real nicht sein, was ideologisch nicht sein darf. Oder, in der anderen Variante, es muss sein, was ideologisch sein soll. So gibt es Rassismus nur bei vornehmlich alten, weißen Männern. Oder bei „Privilegierten“ – was auf dasselbe hinausläuft. Die Selbsttäuschung ist kein passiv-intellektueller Prozess, sondern ein emotional-aktiver: Widersprechende Fakten oder Zahlen werden nicht einfach-passiv ignoriert, sondern komplex-aktiv geleugnet. „Positive Diskriminierung“ wird aktiv betrieben – denken Sie an die erst kürzlich aufgetauchte Stellenanzeige der Antidiskriminierungsstelle einer deutschen Universität, die nur „People of Colour“ auswählen wollte. Oder an die SPIEGEL-Kolumnen von Margarete Stokowski. Wir reden von einem überdies rein selbstreferenziellen Prozess: Die Beteiligten daran bewegen sich rund um die Uhr in der eigenen Blase: Die Selbsttäuschung wird deshalb zum subjektiv funktionierenden Lebenskonzept, weil es objektiv andere Lebensentwürfe im Umfeld schlicht nicht mehr gibt. Kein Drama – solange solche Leute nicht in Regierungsämter kommen. Wie im Stadtstaat Berlin. Oder alsbald im Bund. Dann indessen kann es für alle anderen, die nicht in dieser Blase leben, arg ungemütlich werden: Menschen mit Tendenz zur Selbsttäuschung sind praktisch alles bereit zu tun, um nur ja nicht erleben zu müssen, sich getäuscht zu haben.
– Der Selbstüberschätzungseffekt passt prima in alle anderen genannten Defekte. Denn er bringt die Annehmlichkeiten einer geschönt-überschätzten Wahrnehmung eigener Stärken in Kombination mit einer praktisch vollständig reduzierten und unterschätzten Wahrnehmung eigener Schwächen zusammen: So konnte Angela Merkel nicht nur ihr schon 2015 reichlich dussliges „Wir schaffen das!“ unwidersprochen äußern, sondern sich über die Unterstützung einer jegliche Risiken und Bedrohungen ignorierenden Mehrheitsöffentlichkeit freuen. Sie erinnern sich: Wer, wenn nicht wir? Ich hatte tatsächlich Kontakt mit Menschen, die ernsthaft der Meinung waren, dass wir nicht nur das millionenfache Eindringen kultur- und bildungsfremder Menschen schaffen würden, sondern darüber hinaus auch den Islam reformieren könnten. Ein Mäzen aus dem Ruhrgebiet, ein wirklich gebildeter Mann von Rang und Namen, wusste mir mit Tränen in den Augen zu berichten, dass er Angela Merkel in diesem Zusammenhang mit Willy Brandt vergleiche – der habe auch erfolgreich einen Wandel durch Annäherung erreicht. Die Selbstüberschätzung ist folglich keine Frage der Bildung. Sondern eine Frage des Denkens. Bei dem wiederum manch einer eben Pech hat. Im Zweifel bis zum Kollaps.
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Abschließende Bemerkungen
Angela Merkel lernte vom 18. September 2005 an, dass sie sich vor der alteingesessenen deutschen Testikel-Gesellschaft nicht fürchten musste. Umgekehrt lernte die alteingesessene Gesellschaft, dass sie sich nicht vor Merkel fürchten musste. Merkel war das auf zwei Beinen wandelnde KODAK-Versprechen: „You push the button – and we do the rest“. Ihr wählt mich, und ich lasse euch dafür in Ruhe. Keine Reformen. Kein Schrödersches oder Fischersches Angebelle. Nur Ruhe. Und Abendsonne. Der Preis für diese lebendtote Ruhe war, dass die Deutschen alle ihre hausgemachten Probleme strikt ignorieren mussten: Demographie? Wird schon! Sozialversicherungen unter demographischem Wandel und Armutszuwanderung? Hat immer gut gegangen! Schwierigkeiten bei der Integration von millionenfach eingewandertem Sharia-Islam? Nun seien Sie mal nicht so kulturpessimistisch! Infrastrukturprobleme? Stell‘ dich nicht so an, läuft doch! Bildungsdesaster? Wir haben doch eine tolle, politisch aktive Jugend! Digitalisierung? Das ist sowieso nur ein Trend!
Der Realwirklichkeits-Infarkt der Deutschen reicht viel tiefer, als dass man ihn nur mit Merkel erklären könnte. Es ist eine generelle Tendenz zum Eskapismus, die den Blick in den Abgrund gar zu gerne als schönen Talblick verklärt. Der „State of Denial“ umschreibt die Fähigkeit der Deutschen, ihre kollektiv-psychischen und verhaltensökonomischen Defekte nicht adult-realistisch als Schwächen, sondern infantil-verklärt als Stärken wahrzunehmen. Die Deutschen, speziell das anfällig-vulnerable Milieu der Westdeutschen, erfolgreich und katastrophenlos zu führen, bedarf offenbar eines rigiden Besatzungsstatuts und Kanzlern, die mit der Erfahrung des kolossalen Scheiterns der Deutschen im Gepäck in ihr Amt kommen. Merkel fehlte sowohl dieses Statut und dieses Gepäck – und prompt ging es schief.
Der State-of-Denial, der aus dem genialen KODAK-Moment der Angela Merkel 2005 ff. resultierte, wird natürlich auch in einem KODAK-Effekt enden: KODAK ging unter. Weil es in seiner bräsigen Arroganz übersah, dass sich rings um es herum eine Welt entwickelt hatte, die schlicht kein KODAK-Versprechen mehr brauchte.
Das ist im Kern die Erfahrung, die den Deutschen aktuell ins Haus steht. Kaskadierende Schadenswirkungen aus 16 Jahren völliger Vernachlässigung eigener Hausaufgaben werden wie Naturereignisse über dieses Land rollen. Und auf eine völlig unvorbereitete Gesellschaft treffen, deren Regierungen folgend wechseln werden, wie die tägliche Wettervorhersage. Genießen Sie noch den retardierenden Moment der Illusion mit den Ampel-Olafs, Ampel-Christians und Ampel-Roberts. Der Strom, der diese Ampeln betreibt, wird alsbald weg sein. Weg wie Kodak.
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Fußnoten:
(1) Genau genommen, dem Nachmittag vom 18. September 2005. Gegen 15:00 Uhr laufen im Konrad-Adenauer-Haus die ersten Vorab-Prognosen der Wahlforscher ein. Sie sehen verheerend aus. Angela Merkel, eigens mit neuer Frisur und restriktiv-marktwirtschaftlichem Programm angetreten, steht vor den Scherben ihres Wahlkampfes: Es ist, obgleich in den Vorwahl-Prognosen stets um die 40 Prozent gehandelt, nicht auszuschließen, dass man sogar hinter den Schröderschen Sozialdemokraten landet: Für die bekannt fingernägelkauende Merkel wird es, kleines Wortspiel, ein Nail-Biting-Finish. Um im Bild zu bleiben: Merkel gewinnt am Ende denkbar knapp mit einem Fingernägelkau vor Schröder. Der wiederum kaut zwar keine Fingernägel, hat aber ein kleines Selbstbeherrschungsproblem, wie viele mächtige West-Männer, die Merkel nicht nur studiert, sondern seziert hat: Der besoffen-unbeherrschte Schröder wird an diesem Abend, nach dem Kleinvieh Merz und Stoiber, das erste wirkliche Großwild, das Merkel reißt: Wie alle anderen dummen West-Kerle später auch, rennt er ins offene Messer der Schwarzen Witwe – die nur kalt lächelnd schweigt, während der jeweils polternde Testikel-Träger sich dankenswerterweise selbst ins politische Jenseits befördert.
(2) Eine kollektive Psychologie gibt es per definitionem nicht, da sich alle psychologischen Fragestellungen grundsätzlich mit dem Individuum beschäftigen. Das von Jung definierte „kollektive Unbewusste“ lässt sich zwar anekdotisch, aber kaum empirisch erfassen.
(3) Ein gutes Beispiel dafür ist die „Truthahn-Illusion“. Und die geht so: Ein Truthahn schlüpft im großen Stall. Und vom praktisch ersten Tag an kommt ein Bauer (für die Gender-Freund:innen hier: gerne auch eine Bäuerin) in Stiefeln mit einem Eimer zum Truthahn – aus dem Eimer erhält er leckeres Futter. Das bekommt er am 10ten, am 20ten, am50ten und auch am 99ten Tag. So denkt der Truthahn: Der freundliche Bauer (ja doch: die freundliche Bäuerin …) in Stiefeln ist gut, da kann mir außer Futter nichts passieren. Am 100ten Tag kommt der Bauer in Stiefeln nicht mit dem Eimer, sondern mit dem Beil. Dann ist Thanksgiving – und das endlose Vertrauen des Truthahns endet im Backofen. Übrigens: Auch Bäuerinnen verstehen den Umgang mit dem Beil – der Truthahn hat da im Sinne seines Endes im Backofen keinen Gender-Vorteil.
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Zum Autor:
Alexander Freitag ist Wirtschaftspsychologe und Lehrbeauftragter für Präklinische Notfallmedizin & Psychiatrie. Er ist Mitautor des Buches „Die hysterische Republik“.
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Anm. Steffen Meltzer: Bei Gastbeiträgen handelt es sich um persönliche Meinungen der jeweiligen Autoren, nicht um meine. Die Bewertungen überlasse ich erwachsenen und mündigen Lesern. Meiner Kommentare bedarf es dazu nicht.
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