Autor: Alexsander Freitag
Zwischenzeitlich vergeht kein Tag mehr ohne Realsatire in diesem grotesk und subaltern gewordenen Land, dessen Mehrheitsgesellschaft sich indessen unverdrossen einbildet, weltweit anerkannt, einflussreich und hochgeschätzt zu sein. Die Beispiele nur aus dieser Woche, die gerade erst zur Hälfte vorbei ist: Die Ukraine, erstes Beispiel, bittet die Deutschen um militärische Unterstützung – und erhält 5000 Helme (!). Sicher legt Karl Lauterbach noch 5000 Masken dazu. Oder 5000 Impfdosen: Boostern im winterlich-kalten Schützengraben hält gesund! Und wo wir schon beim bizarren Gesundheitsminister sind: In einer Nacht- und Nebelaktion wird, zweites Beispiel, der immunologisch deutlich höherwertigere Genesenenstatus von sechs auf drei Monate verkürzt. Erklärung dazu? Keine. Noch besser: Das Virus scheint selektiv zu sein, denn Abgeordnete des Bundestages behalten weiterhin ihren sechsmonatigen Genesenenstatus. Erklärung dazu? Keine. Kann man so etwas überhaupt noch glossieren? Nein. Kann man nicht. Weil es eine, vornehmlich westdeutsche, Mehrheitsgesellschaft gibt, die sich solchen (und anderen) hanebüchenen Stuss einfach so gefallen lässt.
Antirealistischer Schutzwall – das Heile-Welt-Theater der Bullerbü-Deutschen
Die weltfremden Eliten der westdeutsch dominierten BRD-Gesellschaft (Sie ahnen schon: Das beste und schönste Deutschland ever, ever, ever!) haben zwar weder eine Postleitzahl noch eine postalische Adresse, dafür aber ein kolossal hoch gebautes Wolkenkuckucksheim, das auf den schönen Namen Bullerbü hört. Bullerbü-Deutsche erkennen Sie schon rhetorisch: Praktisch all ihr sprachlicher Ausdruck beginnt überdurchschnittlich häufig mit den Sätzen „Ich bin gut informiert!“ und „Das ist Wissenschaft!“. Was danach folgt, ist eine in endloser Schleife laufende Schallplatte mit Sprung, auf der die sozial erwünschten Phrasen gedroschen werden, als ob es kein Morgen gäbe. Wahlweise mit ideologischer Inbrunst oder, deutlich häufiger, mit smartem Opportunismus. Die mehrheitlich saturierten Deutschen haben sich als Merkel’sche Postwachstums- und Postwohlstandsgesellschaft hinter einem ‚Antirealistischen Schutzwall‘ selbst eingemauert – und fühlen sich da auch außerordentlich wohl: Bitte nicht mit Realwirklichkeit stören!
In diesem absonderlichen Heile-Welt-Theater sind Realfakten und Realzahlen selbstverständlich ein erheblicher Störfaktor. Folglich müssen sie, immer unter dem affektiv daher geplapperten Narrativ „Folge der Wissenschaft!“, wahlweise passiv ignoriert oder aktiv verächtlich gemacht werden. So ist das Leben hinter dem ‚Antirealistischen Schutzwall‘ eine unendliche Abfolge von zirkulärer Kommunikation in selbstreferenziellen Milieus und Blasen: In Bullerbü ist das Virus lebensgefährlich, Lockdowns schützen die Wirtschaft, das beständige Abschalten von Grundlast-Energie überhaupt kein Problem und Blackouts schicke Events für die Generation Woke, in die man ganz entspannt und gechillt gehen kann. Bullerbü ist eine absurde Gegenwelt. Eine kollektive Fluchtwelt einer Gesellschaft, die mehrheitlich nicht nur den Bezug zur Realität verloren, sondern auch gar kein Interesse mehr hat, daran etwas zu ändern.
Palliativrepublik Deutschland – ein Land hat demographischen Krebs
Dabei müsste viel geändert werden. Sehr viel. Allen voran die Mutter aller Probleme dieses Landes: Sein demographischer Zustand. Der ist, wie es bei Medizinern heißt, infaust. Es ist aussichtslos, mindestens jedoch ungünstig. Und das ist seit 30 Jahren bekannt. Praktisch alle Einladungen zu entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen hat das Land großzügig unterlassen: Keine Pensionsfonds, keine Umstellung des Sozialversicherungs- und Steuersystems als notwendige Vorsorgemaßnahmen – nichts. Die 16 Jahre Merkel waren das buchstäblich letzte Zeitfenster, um dem drohenden Tumorwuchs beizukommen. Aber schon da wäre man ohne unangenehmen operativen Eingriff nicht mehr ausgekommen. Und so zog man es vor, auch diese letzte Möglichkeit zu verpassen. Ab kommendem Jahr, also 2023, hilft dann nur noch der palliative Ansatz: Die Baby-Boomer gehen kollektiv in Rente und Pension. Und in Kombination mit einem zwischenzeitlich zweiten demographischen Tumor, namentlich dem der unkontrollierten Einwanderung aus aller Welt, hilft dann nur noch Morphin, Alkohol oder, mit freundlichen Grüßen der Grünen, Cannabis.
Frischzellen sind nicht zu erwarten. Die Nachwuchsgeneration ist in ihrer Zahl zu klein und obendrein infolge der selbst herbeigeführten Bildungskatastrophe weder mental noch intellektuell in der Lage, die in den kommenden Jahren abrupt und mannigfach entstehenden Lücken in der Gesamtheit des Arbeitsmarktes auch nur annähernd zu füllen. Die bezopften Linus-Maltes werden, zusammen mit den körnerkauenden Wiebkes ausgenommen wie die Weihnachtsgänse. Es ist, um das in aller Deutlichkeit zu sagen, eine bemitleidenswerte Generation, für deren 63 Geschlechter, Doppelpunktsprech und Bachelor-of-Singen- oder Master-of-Klatschen-Abschlüsse in Pseudowissenschaften sich niemand interessieren wird. Weder Karl-Heinz. Noch Abdul.
Kaskadenartige Schadenentwicklung – ein Tsunami hat immer viele Wellen
Die Entwicklung wird kaskadenartig sein, denn die systemischen Fehler der Deutschen in den letzten 30, vor allem aber in den letzten 16 Jahren, sind irreversibel. Die kommenden zwei, drei Dekaden werden einen beispiellosen, aber folgerichtigen Absturz in breite Armut und großflächige Instabilität zeitigen. Dieses Land hat sich gleich zwei seiner AGBs entledigt, ohne dafür neue zu definieren: Die ‚Allgemeinen Geschäftsbedingungen‘, die durch die irrwitzige Deindustrialisierung sowie die noch irrwitzigere Energierestriktion gegenstandslos geworden sind, und die ‚Allgemeinen Gesellschaftsbedingungen‘, die durch autochthone Sterberate sowie Geburtenrate der Einwanderungsgesellschaft ungesteuert und chaotisch auf den Kopf gestellt werden.
Staatsinfarkt – erst kommt das Kammerflimmern, dann die Asystolie
Die zwischenzeitlich täglich fühlbarer werdende Dysfunktionalität des Staates, jenes Staates, der in der Welt einmal wie kein anderer Staat für Stabilität und Funktionalität stand, kommt einem Infarktgeschehen gleich: Ein katastrophaler Verschluss der Fließ- und Funktionsfähigkeit, der auf alle Ebenen übergreift. Wenn weder ein taugliches, Prosperität und Stabilität produzierendes Geschäftsmodell noch ein friedliches, Gemeinsinn stiftendes Gesellschaftsmodell vorhanden ist, gehen vorhandene Strukturen einfach unter. Um im medizinischen Bild zu bleiben: Was wir derzeit erleben ist das chaotisch anmutende Kammerflimmern, dem der Stillstand, die Asystolie, unweigerlich folgt. Staatsinfarkt.
Infarktprävention geht nur individuell
Signifikante Änderungen, auch nur ein Wille dazu, sind weit und breit nicht in Sicht. Wer von dem drohenden Staatsinfarkt nicht mit in die Tiefe gerissen werden will, muss –infolge fehlender öffentlich-gesellschaftlicher Prävention– selbst vorbeugen. Vom Auswandern bis hin zum Finden einer sicheren Nische für sich und die Seinen im palliativen Resterampendeutschland ist alles denkbar. Falls Sie in zehn Jahren zu jenen gehören, die in noch sozio-ökonomisch gleichen oder nur mäßig reduzierten Verhältnissen leben, sich zumindest tagsüber sicher auf der Straße bewegen können, dann gehören Sie zu den Gewinnern. Alle, denen es nicht so gehen wird, sind im Staatsinfarkt auf der Strecke geblieben. Man wird sie in den langen Schlangen der Suppenküchen finden. Vor Sozialämtern. Oder gleich auf dem Friedhof. Da, wo einst einmal Bullerbü stand.
Mit einer gewissen Ironie ließe sich also sagen: Bleiben Sie gesund!
Zum Autor: Alexander Freitag ist Wirtschaftspsychologe und Lehrbeauftragter für Präklinische Notfallmedizin & Psychiatrie. Er ist Mitautor des Buches „Die hysterische Republik“.
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Anm. Steffen Meltzer: Bei Gastbeiträgen handelt es sich um persönliche Meinungen der jeweiligen Autoren, nicht um meine. Die Bewertungen überlasse ich erwachsenen und mündigen Lesern. Meiner Kommentare bedarf es dazu nicht.
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