von Steffen Meltzer
Der Spiegel schrieb im Teaser seiner Onlineausgabe vom 01.08.2024: „Nach der tödlichen Attacke auf Kinder im britischen Southport muss sich der tatverdächtige Teenager wegen Mordes verantworten. Derweil randalieren Rechte nun auch in London, es gibt mehr als hundert Festnahmen.“
Als Teenager haben wir alle Straftaten begangen – behaupten Soziologen
Hier wird ein Gewalttäter ausdrücklich als „Teenagers“ beschrieben und damit augenscheinlich verharmlost, nur weil der Tatverdächtige noch minderjährig ist. Doch das ändert nichts an der Schwere des Verbrechens. Laut Polizeiangaben handelt es sich bei dem (bald) Angeklagten (steht kurz bevor) um den noch 17-jährigen Axel Rudakuban. Was der Spiegel in diesem Beitrag verschweigt: Bereits die kommende Woche tritt die Volljährigkeit des „Teenagers“ mit dem 18. Lebensjahr ein. Er wurde in Großbritannien geboren, seine Eltern sind Einwanderer aus Ruanda. Das sind die nachgereichten polizeilichen Informationen.
Allerdings berichtet auch die Zeitung „Die Welt„ ungenau: Sie schreiben, „Es handele sich nicht um eine Terrortat“ – obwohl das Motiv noch unklar ist. Wenn das Motiv unbekannt ist, kann man doch nicht einfach ausschließen, dass es sich um einen Terrorakt handeln könnte.
Fragwürdige Informationsstrategie
Die britische Polizei hatte erst so gut wie gar nicht, später nur sehr zurückhaltend informiert. Das hat dazu geführt, dass Gerüchte die Lage unnötig angeheizt und eskalieren ließen. Die Informationsfreigabe der Polizei kam aus meiner Sicht viel zu spät. Und selbst dann war die Kommunikation in Teilen noch unklar – man stritt einen Terrorhintergrund explizit ab, obwohl das Motiv ungeklärt blieb. Solche Informationsdefizite nutzen immer die extremen Kräfte in jeder Gesellschaft. Hier wurde quasi eine Steilvorlage für Gerüchte geliefert. Zumal drei kleine Mädchen getötet, acht weitere Kinder sowie zwei Erwachsene teils schwer verletzt wurden. Das lässt niemanden kalt. Auch das bürgerliche Lager kann sich darüber sehr empören. Dieses mögliche Informationsversagen mussten unter anderen die verletzten Polizisten und dadurch zusätzlich beanspruchten Hinterbliebenen ausbaden. Eine offensivere und transparentere Kommunikationsstrategie hätte die Ausschreitungen womöglich vermindern können und Luft aus dem Kessel genommen. Wer zu spät oder unvollständig informiert, muss sich im Zeitalter der „sozialen Netzwerke“ nicht wundern, wenn andere extreme Personen und Organisationen diese Lücke füllen und das Geschehen anfeuern.
Das deutsche Problem
Das ist leider auch in Deutschland ein bekanntes Problem. Deshalb ist es richtig, dass die Polizei in einem Medien-Erlass in Nordrhein-Westfalen angewiesen wurde, ab Herbst die Herkunft von Tatverdächtigen zu nennen. Auch wenn das beispielsweise bei den Kollegen in Hamburg schon immer der Fall war.
Leider haben noch nicht alle in den deutschen Medien verstanden, dass es sich um eine notwendige Präventivmaßnahme handelt. Der WDR möchte dieser Strategie nicht folgen und verweist in diesem Zusammenhang wie stets auf den „Pressekodex“, (der für die Polizei nicht bindend ist). Dort ist festgehalten, „In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse.“
Wie das britische Ereignis zeigt, kann punktgenau das Gegenteil der guten Absicht eintreten. Deshalb ist es wichtig, Gewaltkriminalität stärker, zeitnaher und konsequenter zu ahnden, als das in Deutschland erfolgt. In diesbezüglichen Versäumnissen, zum Beispiel viel zu wenig Personal in der Justiz, liegt ein gesellschaftlicher Sprengstoff, dem wir uns immer weniger verschließen können. Das hat nichts mit dem wohlfeil angepriesenen „subjektiven Sicherheitsgefühl“ zu tun, sondern ausschließlich mit der zunehmend veränderten Realität. Das sollte allen nach den Ausschreitungen in Großbritannien klar geworden sein. Allerdings schränkt Ideologie das rationale Lösungsvermögen mitunter stark ein. Das trifft auch auf Zeitungsberichte zu, die bewusst oder unbewusst, ganz oder teilweise Nebelkerzen verbreiten. Böse Zungen können solche Berichte schnell als „Desinformation“ bezeichnen. Freilich, für wüste Randale und Angriffe auf andere Menschen gibt es keine Entschuldigung. Wer Straftaten bekämpfen will, darf nicht selbst zum Täter werden. Es mangelt den zuständigen Behörden in Southport an einer klaren und deeskalierenden Kommunikationsstrategie.
Steffen Meltzer ist Autor des Buches „Ratgeber Gefahrenabwehr – So schützen Sie sich vor Kriminalität – Ein Polizeitrainer klärt auf“
Mein Beitrag erschien auch auf achgut.com
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