Steffen Meltzer
Ich durfte heute die grünen Utopien kennenlernen, denn ich war in der Zukunft. Potsdam will bald den bösen Autoverkehr zum Erliegen bringen. Stattdessen sind Fahrrad und Massentransportmittel angesagt. Der Autofahrer, das neue Feindbild. Geplant sind weitere Tempo-30 Zonen, Poller, Verkehrseinengungen, die Abschaffung von Parkplätzen bei Neubauten und natürlich eine autofreie Innenstadt. Das Fahrrad (die offizielle volkserzieherische Begründung: Das sei gesund!) wird die Lösung aller Probleme. Da bekommt das Substantiv „Draht-Esel“ eine völlig neue Bedeutung. Vorausgesetzt, es wird nicht gerade gestohlen, denn Potsdam ist eine Hochburg des Fahrraddiebstahls. „Kein Wunder bei dem Angebot am Hauptbahnhof“, meinte dazu lapidar die Chefin des zuständigen Ordnungsamtes. Darauf stoßen wir mit einer Grünen Witwe an, Prost!
Der in Potsdam eifrig beschlossene „Klimanotstand“ bedeutet adäquat den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Ich durfte bereits die neue grandiose und klimafreundliche Aussicht erleben. Eine Fahrt im überladenen Stadtbus. Schon beim Einsteigen raunzte mich der Busfahrer im zackigen Ton an. Ich brauche meinen Fahrausweis nicht zu zeigen. (Als ordentlicher Bürger zeigt man den ungefragt vor. Lässt man diesen stecken, wird man auch wieder angeschnauzt: „Fahrausweis zeigen!“). Dann brüllt der Fahrer, ein kleiner schmaler Mann mit großer Stimme, die Fahr“gäste“ an, man solle gefälligst ziemlich zügig nach hinten durchrücken. Ich fühle mich inzwischen mit anderen zusammenpfercht wie ein Hering in einer Fischdose. Die Leute achten mit betroffenen Gesichtern verkrampft auf ihre Taschen, ich nehme das mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis: vorbildlich! Das wäre hier ansonsten ein Eldorado für Taschendiebe und Grapscher. Mitmenschen mit Platzangst, sozialer Phobie oder Aphephosmophobie sollten dagegen lieber ein Dieseltaxi nehmen. Noch gibt es welche davon.
Frauen bekommen Angst, dass sie den Ausstieg nicht schaffen, kleine Kinder erleben bei dieser bedrückenden Massenansammlung Stress und schreien verzweifelt. Die jungen Klimakämpfer haben hingegen selbstbewusst einen Sitzplatz erstritten. Nun schauen sie mit Kopfhörern bestückt weltenentrückt in ihr iPhone (billig sollen andere) mit den darin enthaltenen seltenen Erden. Rohstoffe für die neue Energiewirtschaft, die Kinder in Afrika unter Lebensgefahr als Lohnsklaven fördern mussten. Wir „alten weißen Leute“ stehen selbstverständlich im Stadtbus und keiner beschwert sich darüber.
Ganz oben auf der klimafreundlichen Potsdam-Agenda steht der Nahverkehr, um autofreie Zonen zu schaffen. Leider können die Verkehrsbetriebe nicht einmal den normalen Fahrplan mit ausreichend Personal absichern, trotz ständig steigender Preise. So ein Klimawandel muss sich schließlich vor allem finanziell lohnen. Kommt noch eine Grippewelle hinzu, wartet man oft vergebens auf so ein Massenvehikel und läuft besser. Ist ja auch gesund! Fahren die grünen Klimaeiferer auch bei Eis oder Schneematsch mit dem Drahtesel an der bekömmlichen frischen Luft? Haha, wers glaubt wird selig. Die fliegen im Winter lieber zum Eisessen aus dem Plastikbecher ins warme Kalifornien. Kann man sich schließlich leisten!
Apropos USA: Ökologisch sinnvoll wäre auch, wenn man in Potsdam folgende alte aber immer noch gültige Rechtsvorschrift aus Memphis in Tennessee übernimmt: Dort darf eine Frau nur Autofahren, wenn ein Mann vorneweg läuft und zur Warnung von Fußgängern und anderen Autofahrern eine rote Fahne schwenkt. Ich meine, das würde den PKW-Verkehr ungemein reduzieren. Welcher Mann möchte schon so viel laufen müssen? Vielmehr wäre anzuraten, diese Regelung diskriminierungsfrei und modernisiert auf alle nunmehrigen 62 Geschlechter auszuweiten. Ökologie, die neue Naturreligion, das wird ein Heidenspaß.
Vor dem Transportabenteuer war ich in einem Potsdamer Grünenviertel unterwegs, wo man 60-jährige Frauen in schwerer Ökokleidung, Studentenbrille aus Nickel und femininen Rucksäckchen mit einem „Hallöle, meine Lieben“, wie bei infantilen Kleinmädchen auf dem Schulhof, schallen hört. Hauptsache affektierte Aufmerksamkeit! Ständig muss man untertänigst auf dem schmalen Fußweg zur Seite springen, will man nicht von den vielen Radfahrerinnen (vorwiegend stolze Ökofrauen auf Hollandrädern), die ungeordnet kreuz und quer fahren (obwohl der Fußweg für Radfahrer nicht zugelassen ist), über den Haufen gefahren werden. Man sieht sie und die junge Elite anschließend abends halbverhungert in die Pizzeria hineinstürmen, wo die gesamte Familie (Kinder und falls vorhanden der Mann) mit Pizza abgefüllt wird. Die moderne Frau kocht schließlich nicht mehr. Im nächsten Leben mache ich in so einem Viertel auch eine Pizzeria auf, ein bombastisches Riesengeschäft!
Einen Revierpolizisten, der mal für Ordnung sorgen könnte, habe ich dort schon jahrelang nicht mehr gesehen. Vielleicht müssen sie gerade wieder andere Aufgaben übernehmen, da Personalmangel in der zusammengeschrumpften Polizei herrscht. Dafür verkündete heute der Polizeipräsident freudestrahlend, die Grenzkriminalität wäre um 38 Prozent zurückgegangen. Donnerwetter, das ist ja toll! Da werden sich die Betroffenen Bewohner und Unternehmen aber freuen, bei denen man inzwischen 7x, | 12x oder noch mehr eingebrochen hat und deshalb keine Versicherung den Laden mehr übernehmen will. Wegen der im großen Stil geklauten schweren Landmaschinen und der vielen verschwundenen Kuhherden muss man jetzt aber auch nicht im Nachhinein so einen Wind machen. Was weg ist, ist nun einmal weg. Die (ehemaligen) Eigentümer werden deshalb bei der triumphal verkündeten Statistik eine richtig gute Laune bekommen! Welche Jahre der Polizeichef als Vergleich heranzieht, ist im RBB-Bericht nirgends nachzulesen. Ich erinnere mich an ein altes Ding, denn um Statistiken zu verkaufen, kommt es nur darauf an, die „richtigen“ Jahre und die dazu passenden Zahlen miteinander ins Verhältnis zu setzen. So kann man Schlechtes gut und Gutes schlecht vermarkten. Ich weiß es nicht und möchte das selbstverständlich auch nicht unterstellen.
Jubelmeldungen an allen Fronten, am besten, man bleibt zuhause, damit einem das „subjektive Sicherheitsgefühl“ keinen Streich spielt, wie Politiker gern mit erhoben Zeigefinger vertonen. Es ist alles so sicher wie noch nie, man muss nur daran glauben! Weil alles so super-geschützt ist, wurden im benachbarten Berlin alle Fußballspiele am vergangenen Wochenende abgesagt. Man kann die körperliche Unversehrtheit der Schiedsrichter nicht mehr garantieren, man wolle nicht auf den ersten getöteten Schiedsrichter warten. Sicher nur unnötige Einbildung, nehme ich an. Glauben Schiedsrichter etwa den wunderschönen Statistiken nicht?
Schiedsrichter bekommen jetzt einen Bodyguard zur Seite gestellt. Problem „gelöst“, da eine hervorragende Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Personenschützer. Irgendwann kamen mir im vollgestopften Bus folgende Gedanken: So wurden in der DDR die „Werktätigen der volkseigenen Betriebe“ kollektiv wie Lemminge zur Arbeit hin- und zurückgekarrt. Vorwärts nimmer, rückwärts immer! Postsozialistische Massenkollektivierung im Personennahverkehr. Fehlt nur noch, dass Claudia Roth oder Katrin Göring Eckhardt auf den Bildschirmen im Hintergrund die Motivationsreden halten, damit wir den Transport alle durchhalten. In den Redepausen untermalt von einer beruhigenden Hintergrundmusik mit der suggestiven Nachricht an unser Unterbewusstsein: „Klimanotstand in Potsdam, wählen Sie grün!“ Was wir heute noch ins Reich der Phantasie verweisen, kann schon bald Realität werden.
Deutschland, ein Land, in dem wir gut und gerne leben.
Der Artiel erschien zuerst auf Tichys Einblick
Click edit button to change this text.
Hinterlassen Sie einen Kommentar