von Wolfgang Meins
Die Zahl von Stichverletzungen hat massiv zugenommen. Für medizinisches Personal eine große Herausforderung.
So könnte der Beitrag aus dem aktuellen Hamburger Ärzteblatt (S. 34/35) auch betitelt sein, aber die Autoren haben sich für „Messerstich direkt ins Herz“ entschieden. Wie dem auch sei. Auf jeden Fall aber macht dieser Artikel wieder einmal deutlich, dass jedes Problem zwei Seiten hat, mindestens.
Der vorliegende Fall ist in erster Linie ein trauriger Hinweis auf die auch in Hamburg zugenommene Messerkriminalität, aber setzt er nicht vielleicht auch ein kleines Hoffnungszeichen? Muss doch ein Messerangriff selbst dann nicht tödlich enden, wenn das Opfer mitten ins Herz getroffen wurde, wenn es also, wie die Chirurgen sagen, zu einer penetrierenden Verletzung gekommen ist, in diesem Fall von Brusthöhle einschließlich des Herzens.
Auch bei einem solchen medizinischen Problem gilt für die medizinischen Behandler die alte Regel: Übung macht den Meister. Und je häufiger solch penetrierende Verletzungen, desto umfassender die einschlägige chirurgische und notfallmedizinische Erfahrung und desto besser das Ergebnis. Oder, aus Patientenperspektive und frei nach Hölderlin: Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch. Jedenfalls manchmal und wenn auch noch jede Menge Glück im Spiel ist.
„Ohne Rücksprache und unbemerkt“
Im vorliegenden Falle wuchs das Rettende für einen Patienten, Mitte 20 und – wie sich später zeigte – des Deutschen nicht mächtig und drogenabgängig. Zuvor aber gelang es dem Notfallteam, den mit einer lebensbedrohlichen Stichverletzung eingelieferten Patienten zu stabilisieren, ihm acht Minuten nach Einlieferung im Notfall-OP das Brustbein zu durchtrennen, die Blutungsquelle – ein Durchstich der linken Herzkammer – zu schließen und weitere Blutungsquellen auszuschließen. Weitere Details möchte ich dem Leser hier ersparen. Nach 19 Tagen beendete der Patient „ohne Rücksprache und unbemerkt“ einseitig die Behandlung, wahrscheinlich getrieben von seiner Drogensucht.
Wesentlich erleichtert wurde der aus notfallmedizinischer Sicht positive Krankheitsverlauf durch den kurzen Transportweg vom Tatort ins Krankenhaus. Denn die Klinik liegt nur knapp 500 Meter Luftlinie vom Hamburger Kriminalitäts-Hotspot, dem Hauptbahnhof, entfernt. Passend dazu heißt es in dem Artikel: „In unserer Klinik beobachten wir in den letzten Jahren eine deutliche Häufung penetrierender Verletzungen im Rahmen von Gewaltdelikten.“
Die Nähe zu einem (geeigneten) Krankenhaus ist bei penetrierenden Messerverletzungen – sei es von Brust- oder Bauchraum – von herausragender Bedeutung, da bei dieser Art von Verletzungen eine zeitweilige Blutstillung am Ort des Geschehens, z.B. durch Kompression, nicht möglich ist.
Ein umkämpftes Thema
Die Frage nach Häufigkeit und Zunahme der – zudem ja nicht selten unter migrantischer Beteiligung erfolgenden – Messerkriminalität in den letzten Jahren ist ein umkämpftes Thema. Bei der Google-Suche wird das allein schon dadurch deutlich, dass man in ungewöhnlicher Häufung auf Beiträge des ÖRR und vor allem auch seiner selbsternannten Faktenfinder stößt. Die Diskussion krankt zudem auch daran, dass Messerangriffe erst seit 2020 kriminalstatistisch erfasst werden.
Für Berlin berichtet etwa der Tagesspiegel über eine Zunahme von knapp 30 Prozent – von 2020 bis 2022 – auf 3.317 entsprechende Angriffe und für 2023 einen weiteren Anstieg um 7 Prozent. Mittlerweile kommt es also jeden Tag in Berlin im Mittel zu fast 10 Messerangriffen. In Hamburg betrug nach Angaben des Senats die Zunahme von 2020 zu 2022 nur gut 1 Prozent, von 2022 zu 2023 dagegen fast 13 Prozent, auf insgesamt 1.269 Fälle, also durchschnittlich 3,5 solcher Taten pro Tag.
Bundesweite Daten für 2023 liegen noch nicht vor, jedenfalls nicht öffentlich. Im Jahr 2022 waren es 8.160 Fälle, ein Anstieg von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Chancen stehen also gut, dass im laufenden Jahr die 10.000er-Marke gerissen wird.
Das TraumaRegister wird kaum genutzt
So gut wie gar nicht genutzt, weder medial noch politisch, wird im Zusammenhang mit der Messerkriminalität das TraumaRegister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie. Im Wesentlichen dürfte das allerdings daran liegen, so meine Recherchen, dass auch dort bisher keine aktuelle, umfassendere Aufbereitung der Daten von in nicht suizidaler Absicht erfolgten Messerstichverletzungen vorliegt.
Möglicherweise erscheint vielen das als zu heikel, denn es könnte ja Wasser auf die Mühlen der Falschen leiten. Bei einer solchen Analyse der Daten ginge es nicht nur um die Zunahme dieser Taten, sondern z.B. auch um nähere Angaben zu deren regionaler und saisonaler Verteilung. Von Interesse wären des Weiteren Angaben zu Alter, Geschlecht, Nationalität und Art der Verletzung sowie natürlich zum Ausgang, also u.a. tödlich oder nicht tödlich.
Wobei ein nicht tödlicher Ausgang selbstverständlich keinesfalls gleichbedeutend sein muss mit völliger Wiederherstellung der Gesundheit, sondern im schlimmsten Fall lebenslanges Leid bedeuten kann.
Wie sieht es in den USA aus?
In einer Analyse von Daten des TraumaRegisters aus 2019 wird auf die relative Seltenheit von penetrierenden Schuss- und Stichverletzungen in Deutschland im Vergleich zu den USA hingewiesen. Das bedinge in hiesigen Krankenhäusern eine fehlende Routine für die Behandlungsteams in der Klinik. Allerdings konnte ich keine Daten zur Häufigkeit von Stichverletzungen in den USA finden. Aber hinsichtlich penetrierender Schussverletzungen sind die ärztlichen Kollegen in den USA natürlich ungleich häufiger gefordert und fachlich entsprechend weiter. Besonders, wenn sie in den einschlägigen hot spots, wie z.B. St. Louis, Baltimore, New Orleans oder auch Chicago, tätig sind.
Die Prognose von Schussverletzungen ist noch einmal deutlich ungünstiger als die von Stichverletzungen. Trotz aller medizinischen Expertise stirbt etwa ein Drittel der Opfer von Schussverletzungen. Entgegen der landläufigen Annahme geht die Zahl der Todesfälle durch Schusswaffen in den USA seit zwei Jahren allerdings zurück, auf – ohne die Suizide – knapp 19.000 im vergangenen Jahr, plus eine fast doppelt so hohe Anzahl von Verletzten.
Wird die ungefähr viermal so hohe Bevölkerungszahl der USA in Rechnung gestellt und – wie oben diskutiert – eine weitere Zunahme der Messerangriffe in Deutschland angenommen, dürfte vielleicht schon im nächsten Jahr die Anzahl hiesiger Messerangriffe die Größenordnung der pro Jahr verletzten und getöteten Schusswaffenopfer in den USA erreicht haben. Wer hätte das vor noch gar nicht so langer Zeit gedacht?
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im sozial- und zivilrechtlichen Bereich. Prof. Meins ist Mitautor des Buches „Die hysterische Republik“
Der Beitrag wurde zuerst auf achgut.com veröffentlicht.
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Steffen Meltzer:
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