Autor: Wolfgang Meins

Es geht hier um die Frage, ob bei unserem Gesundheitsminister bestimmte, deutlich akzentuierte Persönlichkeitszüge vorliegen. Ob dabei die Kriterien für eine Störung der Persönlichkeit im psychiatrischen Sinne erfüllt sind, muss offenbleiben. Dem Leser steht es natürlich frei, sich selbst ein Urteil zu bilden.

Politik wird durch individuelle Persönlichkeiten gestaltet. Die handelnden Personen wiederum werden durch die strukturellen Vorgaben des politischen Systems und dessen Regeln geleitet oder auch begrenzt. Dennoch bleibt z.B. Ministern bei der Ausübung ihrer Tätigkeit viel Spielraum. Einige verstehen es, den positiv auszunutzen. Andere dagegen sind damit überfordert – nicht selten wegen ihrer speziellen Persönlichkeit. Anschauungsunterricht dafür bietet seit geraumer Zeit der gegenwärtige Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach.

Persönlichkeit und Politik

In der akademischen Psychologie und ihren über 30 Hauptgebieten wird nahezu alles und jedes Menschliche beforscht. Darunter natürlich auch die Politik und, etwas spezieller, der Zusammenhang von Persönlichkeitseigenschaften und politischem Erfolg. Zumindest bevor es möglich wurde, mit Hilfe einer Quote in die oberen Politikersphären zu gelangen, galten Selbstdisziplin und Beharrlichkeit als unbedingte Voraussetzung. Am günstigsten sei zudem ein nur grenzwertig überdurchschnittlicher IQ, zu viel scheint hier ebenso zu schaden wie zu wenig. Für den weiteren Weg nach oben seien hilfreich Offenheit für Neues und eine hohe Anpassungsfähigkeit an den rasanten gesellschaftlichen Wandel in Verbindung mit der Neigung, auch Risiken einzugehen.

In Bezug auf die Persönlichkeit beschäftigt sich die Psychologie in erster Linie mit den Ursachen, Variationen und Konsequenzen des Normalen, die Psychiatrie dagegen mit dem Krankhaften, hier also den verschiedenen Persönlichkeitsstörungen – etwa ängstlicher, narzisstischer oder auch zwanghafter Art. Bei den meisten Störungen dieser Art ist der Übergang von noch normal zu krankhaft fließend. Wenn bestimmte Persönlichkeitszüge in bedeutsamer Weise im privaten und/oder beruflichen Bereich unflexibel und unangepasst sind und in relevanter Weise zu Funktionsbeeinträchtigungen oder subjektivem Leiden führen, sind nach den gängigen Kriterien die wesentlichen Voraussetzungen für eine Persönlichkeitsstörung erfüllt.

Eine schwierige Grenzziehung

Der Leser wird erahnen, dass die Grenze zwischen normal und gestört hier schwieriger zu ziehen ist als etwa zwischen nüchtern und sturzbetrunken, normal oder akut wahnhaft. Deshalb eignen sich Persönlichkeitsstörungen auch eher nicht für Ferndiagnosen, eine gewisse Zurückhaltung ist hier aus fachlicher Sicht also geboten. Es kann im Folgenden also nur um die Frage gehen, ob bei unserem Gesundheitsminister bestimmte, deutlich akzentuierte Persönlichkeitszüge vorliegen. Ob dabei die Kriterien für eine Störung der Persönlichkeit im psychiatrischen Sinne erfüllt sind oder nicht, muss offenbleiben. Dem Leser steht es natürlich frei, sich diesbezüglich selbst ein Urteil zu bilden. Näheres zur Problematik von Ferndiagnosen bei (z.B.) Politikern findet sich in diesem Artikel.

Ein bestimmter Verdacht drängt sich auf

Bei dem hier zur Diskussion stehenden 59-jährigen Mediziner und Gesundheitsökonomen Lauterbach – seit immerhin 2005 für die SPD im Bundestag – drängt sich zumindest für den psychiatrisch Vorbelasteten eine bestimmte Frage geradezu auf: Liegt hier eine Zwangsproblematik vor? Dementsprechend geht es im Folgenden um die Überprüfung dieses Bauchgefühls. Hilfreich zur Seite stehen dem Autor – der im Übrigen verantwortlich ist für das einschlägige Kapitel in einem ebenso einschlägigen Fachbuch – vor allem die allgemein akzeptierten diagnostischen Kriterien, aber auch die immer noch lebhafte Erinnerung an etliche Patienten mit ihrer „beeindruckenden“ Symptomatik und Leidensgeschichte.

Der initiale Verdacht bezüglich des im TV zeitweise omnipräsenten Ministers wird ausgelöst durch das – auch ohne Fliege – immer ungewöhnlich steif, teils auch skurril wirkende äußere Erscheinungsbild, der fehlenden Leichtigkeit und Spontaneität sowie der Neigung zu Perfektionismus und Pedanterie, mit den dazu passenden superstrengen Ernährungsregeln: kein Salz – nirgendwo. Vor dem Ukraine-Krieg, als Lauterbach von Talkshow zu Talkshow hetzte und damit kokettierte, nachts, wenn andere schlafen, sich durch neue Corona-Studien zu lesen, wurde seine unverhältnismäßig wirkende Leistungsbezogenheit besonders deutlich. Nach dem, was über sein Privatleben bekannt ist, scheint diese Leistungsbezogenheit auch verbunden zu sein mit einer Vernachlässigung von Vergnügen und zwischenmenschlichen Beziehungen.

Kein Zufall

Dass er bereits deutlich vor seiner Berufung zum Gesundheitsminister dermaßen auf das Thema „Corona“ abgefahren war, teils geradezu besessen davon wirkte, dürfte kein Zufall gewesen sein. Gut, er ist nun einmal Mediziner, und es geht bei Corona ja um ein medizinisches Thema. Aber Lauterbach verfügt über keinerlei praktische medizinische Erfahrungen, ist auch kein Epidemiologe, sondern allenfalls ein „Gesundheitsökonom“, vor allem aber mittlerweile ein langjähriger Berufspolitiker. Es liegt deshalb die Vermutung nahe, dass an dem Corona-Thema etwas mitschwingt, was ihn in ganz besonderer Weise angesprochen hat. Dabei denke ich besonders an die mit diesem Thema verbundene Möglichkeit, sich ständig mit Details, Regeln, Listen, Organisation und Plänen zu beschäftigen. Themen, die Menschen mit einer zwanghaften Persönlichkeit häufig geradezu magisch anziehen.

Darüber hinaus ist das bei Lauterbach zu beobachten, was als Rigidität bezeichnet wird: ein starres Festhalten an einer einmal erfolgten Lagebeurteilung samt den daraus abgeleiteten zentralen Maßnahmen, die sowohl getragen werden von einer starken Vorsicht als auch einer Neigung zum Perfektionismus. Also insgesamt ausgesprochen stimmig für eine zwanghaft strukturierte Person. Bei seiner Corona-Politik vermittelt er außerdem den Eindruck eines sich zunehmend verzettelnden Einzelkämpfers, der offenbar große Probleme hat, sich kollegial mit anderen abzustimmen, seien es RKI, StIKo, Kassenärzte oder auch der Bundesjustizminister. Es ist für den Außenstehenden nicht erkennbar, dass Lauterbach relevante Aufgaben in einem relevanten Umfang delegiert. Er scheint am liebsten alleine zu arbeiten, geleitet von einem hohen Anspruch an sich selbst. Auch das wundert nicht, denn die (unbegründete) Abneigung dagegen, andere etwas machen zu lassen, ist ebenfalls typisch für die hier interessierende psychische Problematik.

Offenheit für Neues, eine hohe Anpassungsfähigkeit an den rasanten gesellschaftlichen Wandel und eine gewisse Risikobereitschaft, also die psychologischen Marker erfolgreicher Politiker, finden sich bei Lauterbach allenfalls in Form von Spurenelementen. Stattdessen bietet er ein typisches Bild für eine Person mit zwanghafter Persönlichkeitsstruktur. Diese Menschen – das sei noch erwähnt, weil es Vielen nicht geläufig ist – vermeiden Veränderungen auch oder vor allem deshalb, weil der damit befürchtete Kontrollverlust oft angstauslösend wirkt. Emotional stabilisierend wirkt dagegen ein starres Konzept von Regeln und Gewissheiten.

Auch Narzissmus spielt eine Rolle

Wie bei Vielen, die nach Höherem in Politik und Wirtschaft streben, ist auch Minister Lauterbach nicht frei von Narzissmus –- samt der dazugehörigen Selbstüberschätzung. Das für den Narzissmus charakteristische überhöhte Selbstbild wurde in zahllosen TV-Talkshow-Auftritten deutlich, in denen er als Harvard-Absolvent und Medizin-Professor den hochrangigen Corona-Experten gab, dem keiner das Wasser reichen kann. Mit diesem steten Streben nach Ansehen und Status will er vielleicht auch kompensieren, dass er 1996 als absolute wissenschaftliche Nullnummer an die Medizinische Fakultät der Uni Köln berufen wurde – als C4-Professur und gleichzeitig Leiter eines neu gegründeten Instituts. Die Details dazu finden sich hier, wobei zentrale Fragen dieses unglaublichen Vorgangs immer noch der Aufklärung harren. Dass Lauterbach noch nie selbst praktisch am Krankenbett ärztlich tätig war, dürfte eine seiner besten Entscheidungen gewesen sein – wodurch auch immer genau motiviert.

Bloß keine Leitungsposition

Üblicherweise gelangen Personen mit einer solchen oder ähnlich gelagerten Persönlichkeitsstruktur wie Minister Lauterbach nicht in leitende Positionen. Schon gar nicht in solche, bei denen neben Flexibilität und Kreativität auch in besonderer Weise soziale Kompetenz gefragt ist. Nicht ohne Grund ließ der Karrieresprung bei Lauterbach auch 17 Jahre auf sich warten, und ohne Corona würde er immer noch warten. Das medienvermittelte Image eines hochrangigen Pandemie-Experten hatte für kurze, aber entscheidende Zeit seine problematische Persönlichkeit bei den Entscheidungsträgern der SPD offenbar überstrahlt oder vernebelt. Erleichtert wurde seine Kür zum Minister zweifellos auch durch die in den letzten Jahren zunehmend dünner gewordene Personaldecke der Partei.

Meist befinden sich zwanghaft veranlagte Mitarbeiter auf Positionen, wo sie möglichst wenig mit den Kollegen zu tun haben und in irgendeiner Ecke, gern auch separat, vor sich hin arbeiten. Sind die zwanghaften Persönlichkeitszüge nicht zu stark ausgeprägt, können sie ihre Fähigkeiten durchaus in besonderer Weise gewinnbringend für den Arbeitgeber einsetzen: etwa bei Tätigkeiten, die besondere Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit erfordern, wie z.B. Kontrollaufgaben bei Wartung und Bau von Flugzeugen. So könnte ich mir Lauterbach grundsätzlich durchaus in bestimmten, untergeordneten Positionen seines Ministeriums vorstellen. An der Spitze dagegen ist er eine grobe Fehlbesetzung. Auf eine durchgreifende Selbstkorrektur sollte man bei zwanghaft veranlagten Mitarbeitern besser nicht hoffen. Wahrscheinlicher ist dagegen ein Burn-out – der diese Bezeichnung dann auch tatsächlich verdient – oder eine bestimmte Personalentscheidung des Kanzlers.

Der hätte bei der Zusammenstellung seiner SPD-Ministerriege besser auf die geschiedene Ehefrau von Lauterbach gehört, die ebenfalls Medizinerin ist, auch wenn diese nach einem sieben Jahre währenden Rechtsstreit um die Unterhaltszahlungen für die gemeinsamen Kinder sicherlich nicht als unbefangen gelten kann. Dennoch sieht es ganz so aus, als hätte sie 2013 recht gehabt mit ihrer laut Bunte geäußerten Befürchtung oder Warnung: „Hoffentlich wird er nicht Minister. (…). Er würde der großen Verantwortung nicht gerecht werden.“

Der Beitrag erschien zuerst auf achgut.com

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im sozial- und zivilrechtlichen Bereich. Prof. Meins ist Mitautor des Buches „Die hysterische Republik“  (Ehrenverlag, 12,00 Euro)