Auszug aus dem Buch: „Schlussakkord Deutschland: Wie die Politik unsere Sicherheit gefährdet und die Polizei im Stich lässt“, für 9,99 € hier zu kaufen

Autor: Axel Hemmerling (MDR-Redakteur)

»Waschen! Waschen! Hier gibt es nur einen großen Waschsalon! In Deutschland gibt es nur einen großen Waschsalon!« Deutschland ist ein riesiger Waschsalon – ein wahres Geldwäscheparadies − der Mafia. Genauer: der kalabrischen ’Ndrangheta – der mächtigsten kriminellen Mafia-Organisation weltweit. Das Telefonat wird zwischen 2013 und 2014 mitgehört − von italienischen Sicherheitsbehörden.

Ungeniert unterhalten sich drei Männer des berüchtigten Farao-Marin­cola-Clans über ihr deutsches Operationsgebiet. Die Telefonüberwa­chung war Bestandteil einer der größten Anti-Mafia-Operationen der vergangenen Jahre. Anfang Januar 2018 werden 186 Personen verhaftet: 169 in Italien und 13 in Deutschland. Rund 50 Millionen Euro werden beschlagnahmt.

Im Fokus der Operation »Stige« der Generalstaatsanwaltschaft aus Ca­tanzaro (Kalabrien) und der Spezialeinheit ROS der italienischen Cara­binieri aus Crotone steht die so genannte Agrar-Mafia: `Ndranghetisti, die den Lebensmittelhandel beherrschen und damit italienische Res­taurants in Süd- und Norditalien, aber auch in Deutschland. Hier – so die Ermittler – agieren mehrere »operative Zellen« des Clans. Einige der Festgenommenen sind in Deutschland geboren. Offiziell betreiben sie Restaurants, Eisdielen oder Pizzerien in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen.

Wieder rückt – kurzfristig – die italienische Mafia in die Öffentlichkeit. Bald wird sie wieder verschwunden sein: aus den Medien und aus dem Visier der personalschwachen Landeskriminalämter der Bundesrepu­blik. Potentielle Gefährder, mutmaßliche Terroristen oder Rechtsextre­misten binden Kräfte, die bei der Bekämpfung der Organisierten Krimi­nalität schmerzlich fehlen. So sind beispielsweise in Thüringen zeitweise gerade einmal neun Beamte im Dienst, die die Schwere Organisierte Kri­minalität bekämpfen – eigentlich sollten es 20 sein.

ISBN: 9783981955903, hier kaufen

»In der Welt gibt es immer wieder phasenweise Terror-Alarm. Wenn das wieder einmal geschieht, dann freut sich die Mafia. Denn alle Kräfte, die sich vorher auf die Organisierte Kriminalität konzentriert hatten, wer­den zu Gunsten der Terrorabwehr abgezogen. Dadurch reduziert sich das Wissen und die Ermittlungsarbeit auf null.« Nicola Gratteri, einer der wohl bekanntesten und umtriebigsten Anti-Mafia-Staatsanwälte Italiens, warnt seit Jahren vor solchen Brüchen in der Polizeiarbeit. Ein Paradies für alle Gruppen der Organisierten Kriminalität nach Art der Mafia. Wer nicht auffällt, fällt unter die strafrechtliche und somit unter die polizeiliche Wahrnehmung. Plötzlich gibt es das Mafia-Problem nicht mehr – zur Freude manch eines Innenministers. So ist es wenig verwun­derlich, dass ausgerechnet das Innenministerium von Nordrhein-West­falen schon Ende Februar 2018 erklärt, die Italienische Organisierte Kri­minalität (IOK) spiele »keine herausragende Rolle.« Die Festnahmen im Rahmen der Operation »Stige« sind da keinen Monat her. Untermauert wird die Feststellung damit, dass gerade einmal 120 Mafia-Verdächtige bekannt sind.

Schon Mitte Februar 2018 sind die meisten, der in Deutschland im Rah­men der Operation »Stige« festgenommenen Männer wieder auf freiem Fuß. Wenig überraschend. So allerdings funktioniert eine Bekämpfung nicht. Nur mit Kontinuität – erklärt Gratteri – kann die Mafia wirklich be­kämpft werden. Er leitete auch die Operation »Stige.« Das Problem Mafia muss erkannt werden: »Jahrelang hatte Deutschland das Problem ausge­blendet. Es wurde völlig unterschätzt. Deutschland erwachte, als plötzlich sechs Tote am Boden lagen.«

Im August 2007 sterben sechs Männer im Kugelhagel der Mafia. Eine Fa­milienfehde zweier ’Ndrangheta-Clans eskaliert mitten in Deutschland. Jetzt muss sich auch die deutsche Polizei mit der Mafia auseinanderset­zen. Das Massaker ist ein strategischer Fehler, denn nun ist die deutsche Polizei – und später auch die holländische Polizei gezwungen, sich mit der Mafia zu beschäftigen. Ein solcher Fehler wird der ’Ndrangheta nie wieder passieren. Sie muss allerdings auch nur auf die Zeit bauen. Nach den Urteilen 2011 gegen die Mörder von Duisburg erlischt das Interes­se an der Mafia. Die Spezialeinheit im Bundeskriminalamt (BKA) wird wenig später zurückgebaut – ihre Erkenntnisse über das Netzwerk der kalabrischen Mafia reicht sie zwar in einigen internen Berichten an die Ländern weiter, Folgen hat das keine. Im Gegenteil: die ’Ndrangheta und auch die anderen italienischen Mafias Cosa Nostra und Camorra expan­dieren. Nur diese drei Organisationen sollen Schätzungen zufolge rund 100 Milliarden Euro in Europa erwirtschaften: über Drogen, Waffenhan­del, Giftmüllentsorgung und Falschgeld.

Selbst die relativ junge Mafia aus apulischen Clans wie beispielsweise die Sacra Corona Unita gedeiht in Deutschland bestens.

So registrierte das Bundeskriminalamt seit den Morden von Duisburg sogar einen deutlichen Anstieg der Mitglieder aller einschlägigen Mafia-Organisationen. 

Auch wenn das BKA ausdrücklich darauf hinweist, dass die Zunahme auf eine bessere polizeiliche Erkenntnislage beruht, muss es im gleichen Zu­sammenhang einräumen, dass das Dunkelfeld deutlich größer ist. Viel­mehr kann − schon durch fehlende statistische Grunddaten – »keine fun­dierte Einschätzung zu Art und Umfang eines Dunkelfeldes«236 erfolgen. Im Wesentlichen kann sich das BKA nur auf bekannt gewordene Krimi­nalität berufen. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass die Mafia in Deutschland möglichst nicht auffallen will. 

Quellenangaben:

  • »Lavare… Lavare… Qui C´è solo lavanderia qua! Qua c´è rimasta solo la lavanderia in Germania…« In: Beschluss des Tribunale Ordinario di Catanzaro, Sezione GIP/GUP, Nr. 3382/2015 und Nr. 2600/2015, vom 26.12.2017, Seite 421.230 Beschluss des Tribunale Ordinario di Catanzaro, Sezione GIP/GUP, Nr. 3382/2015 und Nr. 2600/2015, vom 26.12.2017.
  • Zeugenvernehmung des Dezernatsleiters 62 (Ralf Schmidtmann) im Thüringer Landeskriminalamt im Untersuchungsausschuss 6/1 »Rechtsterrorismus und Behördenhandeln« am 09. März 2017. Wortprotokoll, Seite 135f.
  • Nicola Gratteri am 18. Juni 2015. Damals war Gratteri der Staatsanwalt in Reggio Calabria in der italienischen Region Kalabrien, die das Stammland der ’Ndrangheta ist. Das umfangreiche Interview wurde im Rahmen der Dokumentation »Provinz der Bosse − die Mafia in Mitteldeutschland« des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) aufgezeichnet. Die Autoren des Films waren Ludwig Kendzia, Fabio Ghelli und der Autor dieses Beitrages.
  • Innenminister Herbert Reul (CDU) zitiert nach https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/mafia-nrw-reul-100.html − gesichtet am 25.02.2018.
  • Der umfangreichste Bericht des BKA stammt aus dem November 2008. Hier werden die innere Struktur der ’Ndrangheta, ihre Strategien und ihre Aktivitäten in Deutschland umfangreich dargestellt. Vgl. Bundeskriminalamt (SO 51): Die ’Ndrangheta in Deutschland. Analyse zu der Präsenz der ’Ndrangheta in Deutschland. VS-NfD. Wiesbaden 2008.
  • Vgl. Kleine Anfrage des Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag vom 15.08.2017, Bundestag-Drucksache 18/13320.

Schlussakkord Deutschland: Wie die Politik unsere Sicherheit gefährdet und die Polizei im Stich lässt“, für 9,99 € hier zu kaufen

Zum Autor: 

Axel Hemmerling, arbeitet seit 1999 für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) in Erfurt. Schwerpunkt seiner journalistischen Tätigkeit ist die Innere Sicherheit − hier vor allem die Polizei, der Verfassungsschutz und die (vor allem italienische sowie russisch-eurasische) organisierte Kriminalität. Hemmerling ist ein langjähriger Beobachter der rechtsextremen Szene in Thüringen und Sachsen. Dafür wurde er 2012 mit dem Thüringer Journalistenpreis für seine investigativen Recherchen zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) ausgezeichnet. Der 43-Jährige ist Gründungsmitglied der MDR-Expertenrunde »Extremismus«. Er ist vertretendes Mitglied in der ARD-Taskforce »Terrorismus«.