Interview mit Steffen Meltzer in einer großen deutschen Tageszeitung
Einige Eltern denken, dass ein Kampfsportkurs das Kind schützt. Warum ist das ein Trugschluss?
Sport ist eine ausgezeichnete Sache, es verstärkt das eigene Selbstbewusstsein, erhöht die positive Ausstrahlung, macht klüger, verbessert die Körperhaltung und Belastbarkeit, die signalisiert: „Ich kann mich wehren“. Es wäre jedoch fatal zu glauben, dass sich ein zehnjähriges Kind mit bestimmten Schlag- oder Abwehrtechniken gegen einen erwachsenen Mann effektiv wehren könnte. Auch einmalige Angebote oder Trainingskurse, um Zweikampftechniken zu trainieren, sind bestenfalls ein erstes Kennenlernen, mehr aber auch nicht. In Hochstresslagen sind sie selten hilfreich, da sie dabei vergessen werden und nicht abgerufen werden können. Das Gesetz der Straße kennt auch keine Regeln, wie sie beim Sport vermittelt werden und für eine Entwicklung des Kindes wichtig sind. Deshalb müssen bei solchen Selbstverteidigungskursen der mindestens genauso wichtige präventive Verhaltensbereich ebenso abgedeckt werden, zusammen ergibt das einen großen Sinn.
Aus welchen Gründen sind Kinder leichte Opfer?
Zum Beispiel wenn Kinder abseits belebter Gegenden allein unterwegs sind und/oder nicht wissen, wie sie sich gegenüber Fremden verhalten sollen, sind sie leichtere Opfer. Nicht zu vergessen, wenn sie in Familien oder einem problematischen sozialen Umfeld aufwachsen, bei denen Gewalt und Missbrauch leider keine Seltenheit darstellen. Wenn Kinder nicht die Möglichkeiten erhalten, eine sichere Bindung zu ihren Eltern aufzubauen, laufen sie besonders Gefahr, Opfer zu werden.
Kinder sind erwachsenen Tätern körperlich unterlegen – wie können sie sich trotzdem zur Wehr setzen?
Durch eine stabile Basis zu ihren Eltern bilden Kinder Vertrauen zu sich selbst und anderen. Das schließt die Fähigkeit ein, Gefahren zu decodieren und diesen aus dem Weg zu gehen. Wir besitzen genetisch alle Anlagen, um Gefahrensituation zu meistern. Diese wurden jedoch mitunter wegkonditioniert. Leider haben einige Kinder das Schreien und Weglaufen verlernt. Auch wildes Kratzen, Beißen und Um-Sich-Schlagen kann gewinnbringend sein, selbst wenn es „nur“ darum geht, auf die eigene Gefahrensituation aufmerksam zu machen. Dann besteht die Chance, dass der Täter von dem Kind doch noch ablässt. Täter suchen leichte Opfer.
Welche Rolle spielt dabei die Erziehung?
Wichtig erscheint mir, dass man sein Kind um seiner selbst willen liebt und nicht nur anerkennende Worte ausspricht, wenn es zum Beispiel mit einer guten Schulnote nach Hause gekommen ist. Vertrauen in sich selbst ist die Grundlage für ein ganzes Leben. Das kann sich nur in einer angstfreien Atmosphäre zwischen Eltern und Kind entwickeln. Dazu gehören auch Regeln. Dann bestehen sehr gute Voraussetzungen, dass man sein Kind auch angstfrei über mögliche Gefahren aufklären kann. Andererseits sind Ängste bei Kindern auch normal. Diese muss man ernst nehmen, ohne sie abzutun. Zwänge hingegen erzeugen unnötig Ängste. Unsichere Menschen sind bevorzugte Opfer.
Welche Basics sollten Eltern mit Ihren Kindern üben?
Daraus muss man keine Wissenschaft machen. Wichtig ist, dass das Kind lernt, „Nein!“ zu sagen und dass man das akzeptiert, zum Beispiel, wenn die Tochter der Tante kein Küsschen geben will. Fällt es Ihnen selbst schwer, „Nein“ zu sagen? Üben Sie gemeinsam mit Ihrem Kind: „Nein, das will ich nicht“! Rufen Sie den Satz mit Ihren Kindern laut, reißen Sie dabei die Arme nach oben. Wiederholen Sie die Übung mehrmals und atmen Sie dabei tief ein und aus. Sie merken schnell den gemeinsamen Spaß und wie befreiend sie sich alle danach fühlen. Erklären Sie die Angemessenheit der Übung. Rennen Sie mit ihrem Kind auch mal um die Wette, betätigen Sie sich gemeinsam körperlich. Der Spaß sollte dabei immer im Vordergrund stehen.
Das neue Schuljahr beginnt und für viele Kinder heißt das, dass sie selbstständig zur Schule und nach Hause gehen müssen. Worauf sollten Eltern obacht legen?
Wenn mehre Kinder den gleichen Schulweg haben, ist das immer besser. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, am besten in Fahrernähe, sind langen Fußwegen vorzuziehen. Einsame Wege sollten nach Möglichkeit gemieden werden. Gehen Sie das erste Mal mit Ihrem Kind gemeinsam die Strecke zur Schule ab. Erklären Sie die „Notinseln“ zu denen sich Ihr Kind hinbegeben kann, wenn es unsicher ist. Das können Geschäfte, die Polizei o.a. Institutionen sein. Zeigen Sie die sicheren Verkehrswege. Vergessen Sie nicht: Wasser zieht Kinder an! Bringen Sie ihrem Kind bei, andere Menschen konkret anzusprechen, wenn Gefahr droht: „Sie in der roten Jacke…“, näheres dazu steht in meinem Buch „So schützen Sie Ihr Kind!“. Gehen Sie später noch einmal die Schulstrecke mit Ihrem Kind ab. Diesmal führt ihr Zögling. Haben Sie Vertrauen.
Kevin allein zuhause – was sollten Eltern mit dem Kind absprechen?
Kinder sollten keine Wohnungstür öffnen. Mit vertrauten Personen sollte ein Klingelzeichen vereinbart werden. Ans Telefon darf das Kind gehen, wenn auf dem Display eine Nummer angegeben ist, die es kennt. Die Telefonnummer der Eltern oder einer anderen erreichbaren Vertrauensperson sollte verfügbar sein, die Möglichkeit eines Anrufes bestehen.
Mache ich meinem Kind nicht Angst, wenn ich es darüber aufkläre, wo überall durch wen Risiken und Gefahren drohen könnte?
Nein, wenn zum Kind eine Beziehung besteht, die Sicherheit und Geborgenheit vermittelt, macht ihm das keine Angst. Natürlich muss man die Entwicklungsstufe seines Kindes bei solchen Themen beachten. Wichtig ist, dass das Kind kein Problem damit hat, sich bei Ängsten oder Schwierigkeiten jederzeit an seine Eltern wenden zu können. Das angstfreie Gespräch ist das A und O bei dieser Thematik.
Was ist Ihre Erfahrung als Polizeitrainer? Wann sind „welche“ Kinder besonders gefährdet?
Kinder die einen „Elternersatz“ suchen sind besonders gefährdet. Täter spüren das sehr genau und schleichen sich in das Vertrauen. Wenn Eltern ihre Kinder sich selbst überlassen oder eine übermäßige Strenge an den Tag legen, besteht eine besondere Gefahr.
Gab es ein Erlebnis, warum Sie das Buch geschrieben haben?
Ja. Nach meinem ersten Buch „Ratgeber Gefahrenabwehr“ hatte ich vor, so ein Kinderschutzbuch zu schreiben. Der Stein des Anstoßes war, als 2015 in Potsdam und Berlin Elias (6) und Mohammed (4) durch einen Brandenburger Täter weggelockt, sexuell missbraucht und getötet wurden.
„So schützen Sie Ihr Kind! Polizeitrainer vermittelt Verhaltensrichtlinien zur Gewaltabwehr“ Taschenbuch, Ehrenverlag, ISBN: 978-3981955927, 15,99 Euro
Anm.: Das Interview hatte ich einer großen deutschen (überregionalen) Zeitung gegeben.
Beispiel für Trainings, Veranstaltungen, Vorträge: Bilderserie in der MOZ (35 Fotos) meiner Zusammenarbeit mit dem Kinderschutzbund Uckermark unter Teilnahme des Bürgermeisters von Angermünde. Die Workshops erfolgten in meiner Freizeit, mit Unterstützung des Uckermärkischen Unternehmerverbandes.
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