Steffen Meltzer
Von meinen Trainings und Veranstaltungen, die ich an Schulen und Kindergärten durchgeführt habe, sind mir dieses und jenes in Erinnerung geblieben. In einer Klasse hatte ich eine Veranstaltung von zwei Stunden durchgeführt. Als ich einige Wochen später die kleinen Kinder in einer Pause wiedersah, kamen sie wie ein summender Bienenschwarm voller Begeisterung auf den Mann in Uniform zu gerannt und riefen enthusiastisch, „Steffen, Steffen!“. Einige versuchten mich spontan zu umarmen – ich musste sie sanft zurückschieben um eine professionelle Distanz zu wahren.
Die Sehnsucht nach einem Vater (genauso wichtig wie die nach einer Mutter), der uns durchs Leben führt, nach einem männlichen Vorbild, an dem wir uns orientieren können, ist wohl allen Kindern zu Eigen. Was aber, wenn dafür niemand vorhanden ist? Als ich an einer Schule im Lehrerkollegium bei einer Besprechung teilnahm, sah ich ausschließlich Lehrerinnen, immerhin war der anwesende Hausmeister männlich. Der Ton untereinander war sehr schneidig und von wenig gegenseitigem Verständnis gekennzeichnet. Dementsprechend ruppig ging es auf dem Pausenhof zu.
Es gibt ohne Frage eine Unzahl an sehr guten und engagierten Pädagoginnen. Die intuitive Sehnsucht nach einem männlichen Vorbild, von dem man sich ein positiv geprägtes Verhalten abschauen kann, können sie jedoch nicht ersetzen. Um diese Lücke zu schließen, suchen sich (manche) Kinder folgerichtig Ersatzorientierungen.
So auch ein Junge, der schon in der Pause und nach der Veranstaltung wie eine Klette an mir hing. Er zeigte für die Polizei großes Interesse und wohl auch an diesem altgedienten Polizisten in Uniform. Er fragte höflich, ob ich meine Sig-Sauer P228 aus dem Holster nehme und ihm geben würde. Ich entfernte das Magazin und die Patrone aus dem Lauf und gab sie ihm. Als erfahrener Einsatztrainer bin ich sehr geübt und sicher im Umgang und der Anwendung mit und von Waffen.
Warum soll ich nicht seiner Neugierde nachgeben, das wäre mir in seinem Alter auch nicht anders ergangen. Der Junge war sichtlich stolz und begeistert von meinem Ur-Vertrauen sowie erstaunt, dass ich ihm die Waffe tatsächlich in die Hand drückte. Oh, wie schwer so eine Pistole ist, der nächste Überraschungseffekt. Sichtlich stolz hielt er sie in seinen beiden Händen und lachte dabei. So konnte ich dem Schüler ein unvergessliches Ereignis schenken. Nach dem Ende der zwei Stunden begleitete er mich unaufgefordert zum Funkstreifenwagen. Ich nahm mir noch einmal Zeit und zeigte ihm etwas von der verbauten Technik.
Er galt bei seiner Klassenlehrerin nicht als die „hellste Kerze“ und auch ansonsten als „schwierig“. Ich spürte sehr genau seine leuchtenden Augen, seine innere Freude, dass sich jemand seiner annahm und geduldig Zeit „opferte“. Beim Losfahren betätigte ich noch das Sondersignal auf dem Dach des Dienstfahrzeugs (Blaulicht und Martinshorn), er winkte mir zum Abschied zu. Freude zu bereiten, kann so einfach sein. Seine Freude wurde auch zu meiner Freude. Positive Emotionen stecken an, das nennt man Empathie.
Was wird aus dem „schwierigen Jungen“ geworden sein? „Verhaltensauffällige“ Kinder betteln vor allem um menschliche Aufmerksamkeit und Zuwendung, sie wollen beachtet und gelobt werden, sowie Antworten auf ihre vielen Fragen erhalten. Jemand hat einmal ausgerechnet, jeder Mensch erhält bis zu seinem 19. Lebensjahr ca. eine Million negative Rückmeldungen.
Unabhängig von diesem Ereignis an einer „normalen Schule“ war mir die Arbeit mit geistig benachteiligten Kindern ein großes Bedürfnis, das bei mir einen besonderen tiefen Eindruck hinterlassen hat, wenn ich es mir auch nicht anmerken lies.
Neben meiner dienstlichen Tätigkeit, bei der die Arbeit mit Kindern nur einen Teilbereich umfasste, konnte ich diesbezüglich auch in meinem Freizeitbereich aktiv werden. Mein besonderer Dank gilt dem Uckermärkischen Kinderschutzverein und dem damaligen Präsidenten des Unternehmervereinigung Uckermark, Siegmund Bäsler, die im Vorfeld alle Voraussetzungen für die Trainings im Norden Brandenburgs hergestellt haben.
Zum Titelfoto: Einsatz in einem Kindergarten, gemeinsames Projekt mit dem Uckermärkischen Kinderschutzverein in meiner Freizeit.
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