Autor: Christian Heimfried

Viele sind erschrocken über das Vorgehen der Polizei bei den Demonstrationen in Berlin. Haben doch in der bisherigen Historie Demonstrationsteilnehmer Polizisten immer wieder aufgefordert, den Befehl zu verweigern und die Seiten zu wechseln. Auch Treueschwüre vieler Demonstranten, dass man die Arbeit der Polizisten respektiere, dass man immer wieder aufrief, in jeder Beziehung gewaltfrei zu sein, haben nichts genützt. Letztendlich wurden in Berlin in der Nähe des Reichstages sogar Wasserwerfer gegen friedliche Bürger eingesetzt, die ihr Grundrecht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit wahrnehmen wollten.

Das hat dazu geführt, dass sich viele Bürger von der Polizei abwenden. Das Vertrauensverhältnis wurde somit gegenüber politisch aktiven Teilen der Bevölkerung schwer beschädigt. Die hässlichen Bilder von einzelnen übergriffigen Polizeibeamten gegenüber unterlegenen Demonstranten trugen dazu bei. Viele Protestler berichten, dass im individuellen Gespräch mit Polizeibeamten deutliche Sympathien für die Kundgebungen vernehmbar waren, jedoch später die gleichen Einheiten beim Einsatz gegen Demonstranten mit einem großen Eifer und Härte zugange waren.

Wie ist so ein ambivalentes Verhalten möglich?

Der Begriff „Freund und Helfer“ geht nicht, wie häufig kolportiert auf Heinrich Himmler zurück, sondern wurde 1926 durch den preußischen Innenminister Albert Grzesinski geprägt. Im Vorwort eines Buches zur Berliner Polizeiausstellung kreierte er für seine Bediensteten das zukünftige Motto: „ein Freund, Helfer und Kamerad der Bevölkerung zu sein.“

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Das ändert jedoch wenig daran: Die Polizei war schon immer vor allem eine Institution, um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu sichern und somit ein stabiles Gemeinwesen zu ermöglichen. Damit das relativ geräuschlos geschehen kann, braucht man den freundlichen- und nicht den rabiaten Beamten mit dem Bullenbeißergesicht, der erst handelt und dann fragt. Die Polizei soll nicht nur Kriminalität bekämpfen und Gefahren im Verzug abwehren, sie soll nach einer politischen Agenda auch bei „den richtigen“ Straßenprotesten besänftigen und bei den „falschen“ hart durchgreifen. Demzufolge hat die Psychologie, die „Deeskalation“ und die Kommunikation in der Polizeiarbeit eine immer größere Bedeutung eingenommen und der Einsatz des Gummiknüppels gleichzeitig abgenommen. Bisher. 

Das trifft heutzutage vor allem auf die BLM-Demonstration in Berlin zu, bei der weder ein Mindestabstand noch das Tragen von Nasen-Mundschutzmasken durchgesetzt wurden. Dass sich darunter zahlreiche Linksextremisten tummelten, hat in den Leitmedien und der regierenden Politik niemanden gestört. Das Schweigen dazu war geradezu ohrenbetäubend. Ähnliches galt für die Erster-Mai-Demos in der Hauptstadt, bei denen die Polizei großzügig den schwarzen Block gewähren ließ und das Vermummungsverbot während des Marsches ausdrücklich nicht durchsetzte. Rot-rot-grüne Senatspolitik, die durch die Polizei vor Ort umgesetzt wird.

So sehen die neuen SPD-Vorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh ihren neuen populistischen Schwerpunkt bei der Bekämpfung von Rechtsradikalismus und der Clankriminalität und nicht etwa im Islamismus und dem Linksterrorismus. Die bereitwilligen Helfershelfer dafür finden wir in der Polizeiführung, allen voran bei den Polizeipräsidenten, bei denen das richtige Parteibuch besonders Bedeutung besitzt. Polizisten haben ihren Eid auf das Grundgesetz abgelegt und nicht auf einen Zeitgeist, eine Partei oder gar einen Politiker. Ebenso hat die Polizei bei allen Demonstrationen und Versammlungen eine Neutralitätspflicht.

Der Abzugshebel zum Dauerfeuer

Zu beobachten ist, dass unsere Polizei an der Basis speziell durch linke und grüne Politiker, die angeschlossenen Medien und die vielen nichtstaatlichen Organisationen und Vereine mit einem Dauerfeuer an Unterstellungen und Vorwürfen in die Defensive gedrängt wurde. Mitarbeiterbriefe, Erlasse und politische Seminare sollen für die richtigen Gedankengänge, Worte und Bezeichnungen sorgen.

Alles begann 2015, als durch die Migrationskrise die deutsche Polizei im Inneren zunehmend politisiert wurde. Inzwischen werden sogar Bürger und Kollegen aufgefordert, über speziell eingerichtete Telefonverbindungen anonym Polizeibeamte zu melden, die man als „Rechte“ verdächtigen darf. Denunziantentum, Ängste und Misstrauen werden somit geschaffen. Beim gemeinsamen Frühstück hält man dann lieber den Mund, damit niemand etwas „missverstehen“ kann und weitermeldet.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht einzelne Verdächtigungen in den Medien und der Politik systematisch hochgespielt und gebetsmühlenartig zur Empörungskultur über den angeblich vorhandenen alltäglichen Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden verklärt werden. Die Unschuldsvermutung wurde de facto abgeschafft – nicht nur im Berliner Antidiskriminierungsgesetz, das alle Bediensteten unter einen Generalverdacht stellt. 

So wurden in Sachsen-Anhalt 50 Führungskräfte der Magdeburger 1. Einsatzhundertschaft unter einem dienstlichen Vorwand versammelt. Plötzlich kam ein Staatsanwalt und beschlagnahmte auf Grundlage eines richterlichen Beschlusses  alle privaten Handys. Zuvor hatte es ein Schreiben an das Innenministerium gegeben, es würde eine Chatgruppe existieren, in der rechtsextreme Inhalte kursierten. Ob das tatsächlich den Tatsachen entspricht, muss sich erst herausstellen. Ob wahr oder nicht, der Skandal hat sich öffentlichkeitswirksam etabliert, die Vorverurteilung erfolgt auf dem Fuße.

Aber der Tunnelblick auf der Jagd sorgt für Fehler: In Düsseldorf hatte das  Verwaltungsgericht „die Suspendierung einer Polizistin unter Rechtsextremismus-Verdacht aufgehoben. Der angeblich rechtsextreme Inhalt einer Chat-Gruppe sei eine Hitler-Parodie, so die Begründung.“ Überziehen sollen Polizeibeamte ihre Maßnahmen zu recht nicht, aber man darf sie überzogen disziplinieren. War es falsch, hat es für den Betroffenen trotzdem Folgen, für die Behörde nicht.

Hexenjagd hinterlässt Spuren

Wir haben es gegenwärtig mit einer Hexenjagd auf Polizeibeamte zu tun. Natürlich hinterlässt das ständige Agieren bei vielen Polizeibeamten erhebliche Spuren. Polizisten wurden vor ihrer Einstellung in einem umfangreichen Auswahlverfahren getestet. Sie müssen belastbar, anpassungs-, team- und konfliktfähig sein. Mit anderen Worten, sie sollen vor allem Probleme ertragen. Es sind aber Menschen in Uniform, die einst mit vielen Idealen in das Berufsleben gestartet sind, bevor die Realität sie eingeholt hat. Eine Reihe von ihnen sind am Ende mit ihrer Kraft und einseitigen Loyalität, retten sich in Dauerkrankheit und die anschließende vorzeitige Pensionierung. Andere kündigen innerlich und betreiben Dienst nach Vorschrift. Einige machen sogar ihrem Leben ein Ende. 

Natürlich kann man auch den Befehl verweigern. Jedoch sollte man sich darüber im Klaren sein, was daraufhin in aller Regel folgen wird. Das Ende der Karriere wäre noch das mildeste Ergebnis. Die Bandbreite der legalen und illegalen Disziplinierung  ist sehr groß. Übertragung schikanös-minderwertiger Aufgaben, Versetzung an einen weit entfernten Dienstort, Anbrüllen oder die menschliche Isolierung im Dienst. Noch schlimmer trifft es die, die Frau und Kinder zu versorgen haben und ein Haus abzahlen müssen. Das Ausscheiden aus dem Beruf würde sie in den Abgrund treiben, denn das polizeiliche Studium (gehobener Dienst) oder die Ausbildung (mittlerer Dienst) sind fachspezifisch einzig auf den Polizeidienst ausgerichtet. Es gibt fast keine beruflichen Alternativen.

Nicht zu vergessen, das kuriose Beurteilungssystem. Es gibt Dienststellenleitern und Vorgesetzten eine riesige Macht über Menschen in die Hand, die jeglicher Willkür Tür und Tor öffnet. Selbst dem unfähigsten Chef jeden Wunsch von den Augen abzulesen und stets seiner Meinung zu sein, hilft ungemein bei der Bewertung von „Eignung, Leistung und Befähigung“, wenn man „weiterkommen“ will. Das Erziehungsergebnis von Zuckerbrot und Peitsche ist der typisch deutsche Untertan – eine nicht selten anzutreffende Spezies. Einfach mal so den Bettel hinschmeißen, geht auch nicht ohne weiteres. Bist du einmal raus aus dem Betrieb, dann war es das meistens.

Alles in Allem befinden sich Polizisten in einem sehr viel größeren Abhängigkeitsverhältnis als andere Arbeitnehmer. 

Natürlich sind da die Privilegien des Beamtentums: Freie Heilfürsorge oder Beihilfe, keine Beiträge in die Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Dabei wird oft vergessen, dass auch das Beamtensystem eine Mehrklassengesellschaft aus einfachem, mittlerem, gehobenem und höherem Dienst besteht. Nur sehr wenige davon sind tatsächlich privilegiert. Gerade junge Polizisten verdienen vergleichsweise wenig, da sie im Eingangsamt mit geringer Altersstufe verharren. Es fällt auf: Bei den Mannschaftsdienstgraden der einschreitenden Bereitschaftspolizisten handelt es sich vorwiegend um jüngere Beamte. Diese werden bei Demonstrationen widerspruchslos ausführen, durchziehen und mitunter überziehen. Einige Gründe dafür, habe ich gerade beschrieben.

Will man generell an unserer Polizei etwas ändern, muss das altherkömmliche Beamtensystem komplett reformiert- und müssen dabei gleichzeitig Vergünstigungen und Zwänge abgebaut werden. Eine moderne Polizei muss darüber hinaus modern geführt werden. Denn dort beginnen die eigentlichen Probleme. Einigen wenigen würde es nicht schaden, wenn sie Angst vor der Entlassung haben müssten.

Mit freundlicher Genehmigung.: Der Artikel erschien zuerst auf Tichys Einblick