Autor: Wolfgang Meins

Unter dem Deckmantel der „Stärkung der Kinderrechte“ wollen Trans-Aktivisten diejenigen der Eltern aushebeln und so jungen Menschen die Entscheidung über tiefgreifende körperliche Eingriffe überlassen, die nicht einmal politische Parteien wählen dürfen.

Jüngst hat der 40. Deutsche Psychotherapeutentag eine vollmundige Resolution verabschiedet, in der das Vorhaben der Bundesregierung begrüßt wird, das bisher gültige Transsexuellengesetz durch das – wie es euphemistisch bezeichnet wird – „Selbstbestimmungsgesetz“ zu ersetzen. Ganz auf der Höhe des Zeitgeistes geben sich die Psychotherapeuten überzeugt davon, dass es sich dabei um den „Abbau von struktureller Diskriminierung gegenüber trans Menschen“ handele. Damit macht die Bundespsychotherapeutenkammer sich zur Lobby der Transgender-Aktivisten, was nicht ohne Widerspruch geblieben ist. Wer sich detaillierter mit der im Folgenden angerissenen Thematik beschäftigen möchte, dem sei das jüngst bei Kohlhammer erschienene, von B. Ahrbeck und M. Felder herausgegebene Buch Leben im falschen Körper empfohlen.

Die o.g. Resolution zielt auf die Absicht der Ampel-Koalition, die seit 1981 geltende und seitdem mehrfach geänderte gesetzliche Grundlage (Transsexuellengesetz) durch eben dieses „Selbstbestimmungsgesetz“ zu ersetzen. Bisher liegen verschiedene Entwürfe vor. Die beiden federführenden Ministerien für Justiz und für Gesundheit wollen noch vor der Sommerpause den endgültigen Gesetzesentwurf vorlegen. Sollte das Vorhaben dann auch den Gesetzgebungsprozess erfolgreich durchlaufen, können Personen ab dem Alter von 14 Jahren auf dem Standesamt durch einen normalen Verwaltungs- bzw. bloßen Sprechakt ihren Geschlechtseintrag in m/w/d oder „gar nichts“ ändern – ohne die bisher erforderliche psychiatrische Begutachtung. Ebenfalls mit der Vollendung des 14. Lebensjahres bestünde für sie dann die Möglichkeit, sich mit ärztlicher Hilfe bzw. durch Hormone und Skalpell – vorbehaltlos zu finanzieren von der Solidargemeinschaft – dem gewünschten Geschlecht mehr oder weniger anzunähern.

An diesem Vorhaben gibt es naturgemäß viel Kritik. Einer der Hauptkritikpunkte bezieht sich auf die bei der Gesetzesreform vorgesehene Aushebelung von Elternrechten, sowohl in Bezug auf die Personenstandsänderung als auch die „Geschlechtsumwandlung“ mit medizinischen Mitteln. Der erste Punkt berührt die Geschäftsfähigkeit, die bei Kindern, aber auch (zum Teil) bei Jugendlichen, angesichts der möglichen und teils durchaus komplexen Folgen einer solchen Änderung des Personenstandes nach meiner Einschätzung nicht einfach vorausgesetzt werden kann. Bis jetzt ist in den Entwürfen aber keine Hürde eingebaut, die solchen Vorbehalten Rechnung tragen würde. Nicht nur, dass die Meinung der Eltern als offenbar irrelevant eingestuft wird, es wird ihnen nicht einmal ein Veto-Recht eingeräumt, das dann wenigstens zur Überprüfung der Geschäftsfähigkeit ihres Kindes beim zuständigen Gericht führen würde.

Ohne rechtswirksame Einwilligung kein medizinischer Eingriff

Der zweite Hauptkritikpunkt bezieht sich auf die verschiedenen medizinischen Maßnahmen. Im Vergleich zur Personenstandsänderung erscheint es hier – nicht zuletzt wegen der meist gegebenen Irreversibilität der medizinischen Eingriffe – noch deutlich unstrittiger, dass Kinder und zu einem erheblichen Anteil auch Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren noch nicht über die erforderlichen Voraussetzungen für die rechtswirksame Einwilligung gegenüber den behandelnden Ärzten verfügen. Vielmehr kann begründet angenommen werden, dass nur ein kleiner Teil der Minderjährigen ab 14 bereits über die dafür erforderliche sozio-emotionale Kompetenz verfügt, zumal die psycho-sexuelle Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Eigentlich wäre also die Zustimmung der Eltern erforderlich.

Bei ärztlichen Eingriffen ist also eine rechtliche Hürde eingebaut, denn ohne eine wirklich tragfähige Einwilligung in die „Umwandlungsbehandlung“ würde der Arzt sich der Körperverletzung schuldig machen, und zwar meist einer schweren. Denn es geht ja nicht bloß um die Verzögerung der Pubertät durch sog. Pubertätsblocker, sondern auch um die Behandlung mit gegengeschlechtlichen Hormonen, das Abschneiden der Brüste, Entfernen von Eierstöcken und Gebärmutter, die operative Veränderung von Vagina und Klitoris bzw. Amputation des Penis und Entfernung der Hoden und evtl. weitere medizinisch-ästhetische Eingriffe. Für den Arzt gilt dabei im Zweifel der alte Leitsatz primum non nocere, nämlich vor allem nicht zu schaden.

Da vermutlich in vielen Fällen die Eltern nicht davon überzeugt sind, dass das Verlangen ihres Kindes nach „geschlechtsumwandelnden“ Eingriffen tatsächlich seinem Wohle entspricht, werden sie voraussichtlich häufig ihre Zustimmung verweigern. In einem solchen Fall können sich die betroffenen Kinder oder Jugendlichen zur Unterstützung ihres Ansinnens an das Familiengericht wenden, das dann auf der Grundlage von psychologischen oder auch psychiatrischen Gutachten zur Einwilligungsfähigkeit über das Kindeswohl zu entscheiden hat. Dafür, dass dieser Rechtsweg den noch Pubertierenden möglichst barrierefrei offensteht, werden schon die Aktivisten der Transgender-Gemeinde sorgen, die mittlerweile sogar in Gestalt von Sven Lehmann über einen ministeriellen Queer-Krieger in Gewand und Besoldungsstufe eines Staatssekretärs verfügen, ausgestattet mit einem Etat von 70 Mio., um u.a. „in Kitas und Schulen ein Klima zu schaffen, das Vielfalt als Selbstverständlichkeit versteht“.

Keine erbaulichen Vorstellungen

Für viele Eltern sind das sicherlich alles keine erbaulichen Vorstellungen. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass der Staat noch 2019 ein Werbeverbot von sogenannten Schönheits-Operationen erlassen hat, mit der interessanten Begründung: Kinder und Jugendliche müssten vor solchen Einflüssen geschützt werden, weil sie aufgrund pubertätstypischer Verunsicherungen hinsichtlich ihres Körperbildes gefährdet seien, sich selbst zu schädigen.

Bei den Psycho-Gutachten, die den Gerichten helfen sollen, eine Entscheidung im Sinne des Kindeswohls zu treffen, könnte die Gefahr einer systematischen Tendenz, also einer Verzerrung in eine bestimmte Richtung bestehen: Die überaus intoleranten Transgender- oder auch Queer-Aktivisten treten sehr aggressiv auf, und deren grundlegende Überzeugung von angeblich jederzeit frei wählbaren Geschlechtern ist mittlerweile an Universitäten weit verbreitet und hat auch in zahlreichen Medien – v.a. den Öffentlich-Rechtlichen – ihre Propagandisten gefunden.

Psychiatrische und vor allem psychologische Sachverständige bleiben von solchen zeitgeistigen Entwicklungen nicht unberührt. Sieht ein Sachverständiger diese ideologische, wissenschaftsfeindliche Entwicklung kritisch, wird er im Gutachtenfall wahrscheinlich eher dazu neigen, fehlende oder noch ungenügend ausgebildete Voraussetzungen für die Einwilligungsfähigkeit bei einem Minderjährigen festzustellen, als jemand, der überzeugter Anhänger dieser Ideologie ist. Zu befürchten ist ferner, dass die bekanntlich ja nicht zimperlichen Transgender-Aktivisten versuchen werden, kritische Sachverständige oder vielleicht gar auch die ihnen folgenden Richter unter Druck zu setzen.

Wer zahlt – und unter welchen Bedingungen?

Neben den aufgezeigten Hürden, bei denen sich nach Inkrafttreten des „Selbstbestimmungsgesetzes“ zeigen wird, wie hoch oder niedrig sie tatsächlich ausfallen, gibt es noch solche finanzieller Art. Wer seinen Wusch nach „Geschlechtsumwandlung“ praktisch umsetzen will, braucht auch jemanden, der das Ganze bezahlt, und zwar möglichst bis zum Ende aller Tage. In der Regel ist das die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), deren verbindliches Procedere bisher basiert auf dem – voraussichtlich bald ungültigen – Transsexuellengesetz und den einschlägigen medizinischen Leitlinien. Bei dem hier interessierenden Personenkreis geht es aus medizinischer Sicht, um – salopp formuliert – den Hardcore-Anteil von Patienten mit der psychiatrischen Diagnose „Geschlechtsdysphorie“.

Diese Diagnose bezeichnet Menschen, die unter einem rein subjektiven Inkongruenz-Erleben zwischen gegebenem biologischem Geschlecht (männlich oder weiblich) und ihrem geschlechtsbezogenen Empfinden, also ihrer sozialen Rolle, leiden. Liegt ein solches Erleben ohne wesentlichen Leidensdruck vor, lautet der fachlich korrekte Begriff „Geschlechts-Inkongruenz“. Auf der anderen Seite des Dysphorie-Spektrums steht die Transsexualität, also eine länger bestehende Geschlechtsdysphorie extremer Ausprägung, bei der die Betroffenen anhaltend nicht in der Lage sind, sich mit ihrem gegebenen Geschlecht auszusöhnen. Ausschließlich bei diesem Personenkreis kommen (bisher) hormonelle oder auch operative Interventionen in Betracht.

Psychische Erkrankungen kommen bei Transsexuellen gehäuft vor

Vor einer Kostenübernahme hat die GKV derzeit noch einige, insgesamt durchaus sinnvoll erscheinende Hürden errichtet, um das Risiko für ein späteres Bedauern der hormonellen oder chirurgischen Eingriffe oder gar eine Rückabwicklung möglichst niedrig zu halten. Kurz zusammengefasst handelt es sich dabei um mindestens zwölf Psychotherapiesitzungen zur Absicherung der Diagnose und zum Ausschluss oder gegebenenfalls zur Behandlung von anderen psychischen Erkrankungen, die bei Transsexuellen gehäuft vorkommen. Außerdem wird eine therapeutische Begleitung über mindestens zwölf Monate gefordert, in denen die Patienten Alltagserfahrungen in der gewünschten Rolle machen, eventuell bereits unter Hormonbehandlung oder auch nach bereits erfolgter Brustentfernung.

Eine solche oder ähnliche Vorgehensweise pauschal als „Zwangspsychotherapie“ zu denunzieren – wie in der eingangs erwähnten Resolution geschehen – weist sowohl auf eine erhebliche ideologische Verbohrtheit als auch fachliche Unbedarftheit hin. Das umso mehr, als durch die geplante Gesetzesnovellierung die künftigen umwandlungswilligen Geschlechtsdysphoriker deutlich jünger sein dürften als die bisherige transsexuelle Patientengruppe – und damit häufig noch mit nicht abgeschlossener Pubertät. Eine Entwicklungsphase, die – wir erinnern uns – meist eine Zeit des Zweifels, der Unsicherheit, der Krise und des Suchens ist. Und auf welch fruchtbaren Boden die Propaganda für ein angeblich frei wählbares Geschlecht fällt, zeigen die in den meisten westlichen Ländern geradezu rasant ansteigenden Häufigkeiten von Geschlechtsdysphorie. Gefährlich verlockend mag für die Suchenden da die Möglichkeit sein, ihren sozialen und psychischen Problemen mit der Annahme zu begegnen, sich eben im falschen Körper zu befinden.

Zwei Paar Schuhe und ein erhöhtes Sterberisiko

Strikt zu trennen von den Transsexuellen sind diejenigen mit einem Intersex-Syndrom, die heute mit der englischen Abkürzung DSD (Disorder of Sex Development) bezeichnet werden. Bei dieser äußerst kleinen Gruppe liegen angeborene Variationen der genetischen, hormonalen, gonadalen und genitalen Anlagen vor. Bei den Transsexuellen handelt es sich dagegen immer um biologisch und medizinisch eindeutige Männer oder Frauen. Interessanterweise differenziert keiner der Gesetzesentwürfe zwischen der rein psychischen Problematik bei Genderdysphorie und den medizinischen Herausforderungen bei denjenigen mit DSD, bei denen nicht selten bereits deutlich vor dem Alter von 14 Jahren bestimmte medizinische Eingriffe im Sinne des Kindeswohls erforderlich sind, die durch die geplante Novellierung erschwert werden könnten.

Ab und zu bietet das „Deutsche Ärzteblatt“ auch mal interessante Artikel – z.B. die Zusammenfassung einer aktuellen holländischen Langzeit-Studie an „umoperierten“ Transsexuellen. Demnach fiel im Beobachtungszeitraum das Sterberisiko von knapp 3.000 Mann-zu-Frau-Operierten fast doppelt so hoch aus wie bei den (holländischen) Männern und fast dreimal so hoch aus wie bei den Frauen. Das Sterberisiko der gut 1.600 Frau-zu-Mann-Operierten war fast doppelt so hoch wie bei den Frauen, aber nur geringfügig höher als bei den Männern. Dabei lag das Sterberisiko durch einen Suizid bei den Mann-zu-Frau-Operierten im Vergleich zu Frauen 7-fach höher und durch HIV-assoziierte Erkrankungen gar 50-fach höher. Die Studienleiterin gibt sich ob dieser Zahlen etwas ratlos. Ein Blick auf den Boulevard könnte hier vielleicht hilfreich sein.

Der Beitrag erschien zuerst auf achgut.com

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im sozial- und zivilrechtlichen Bereich. Prof. Meins ist Mitautor des Buches „Die hysterische Republik“


Anm. Steffen Meltzer: Bei Gastbeiträgen handelt es sich um persönliche Meinungen der jeweiligen Autoren. Die Bewertungen überlasse ich erwachsenen und mündigen Lesern. Meiner Kommentare bedarf es dazu nicht.