Von Steffen Meltzer

Am 10.10.2022 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung hinter der Bezahlschranke ein Gespräch zwischen der Interviewerin Aurelie von Blazekovic und dem RBB-Investigativjournalisten Jo Goll. Letzterer ist Teil eines internen Rechercheteams, die im eigenen Haus die bekannt gewordenen Skandale weiter aufklären soll. Über die damit verbundenen Empörungen und Schwierigkeiten stand er Rede und Antwort.

Der RBB-Mitarbeiter hatte bisher vorwiegend zum Thema „Extremismus“ ermittelt. Was er dabei erfahren musste, darf ich ebenfalls als „extrem“ bewerten. Der erfahrene TV-Reporter äußert sich diplomatischer. Ihm ist offenbar der Spagat zwischen lückenloser Aufklärung und einem loyalen Verhalten gegenüber seinem Arbeitgeber bewusst. Dieser Antagonismus ist nicht aufzulösen. Es spricht davon, dass seine Entdeckungen für ihn „teilweise fremd“ waren. Seine Kritik lässt deutliche Zweifel am Aufklärungswillen der Leitungsgremien aufkommen: „Es kann nicht zum Selbstzweck werden, dass man über Monate gegen den eigenen Sender recherchiert. Die Geschäftsleitung muss ihren Beitrag bei der Aufarbeitung leisten. Gerade habe ich ein bisschen Zweifel, wie das läuft.“

Hier einige Schwerpunkte aus dem Gespräch.

Die Intendantin

Es ist inzwischen Wasser in die Elbe getragen, über die bereits bekannten Verwerfungen zu berichten. Ich lese im Interview Bezeichnungen wie „das  System Schlesinger“. Über den Luxus-Dienstwagen mit Massagesessel, den teuren Parkettfußboden und die private Party auf Kosten der Gebührenzahler war bisher ausreichend berichtet worden. Der RBB-Journalist stellt dagegen die entscheidende Frage, die es zu klären gilt: „Wie konnte eine Redakteurin des Norddeutschen Rundfunks sehr schnell zur Leiterin der RBB-Intendanz aufsteigen, um dann faktisch als Projektleiterin dieses Multimillionenbaus (Anm.: „Digitales Medienhaus“ für 188 Mio. Euro) zu fungieren?“ Wer hat diese Journalistin ausgesucht und unter welchen Kriterien? Ich bin mir sicher, Sie erahnen die Antwort.

Das Führungspersonal

So sollen sich Mitglieder, der noch amtierenden Geschäftsführung bei einer Personalversammlung versucht haben damit herauszureden, die ehemalige Intendantin sei bei Konflikten „sehr rigide vorgegangen“, Bedenkenträger wären „bloßgestellt und abgebügelt“ worden. Goll fragt: „Warum reden diese gutbezahlten Manager erst jetzt von solchen ungeheuerlichen Vorgängen?“

Was hätten diese riskiert, entsprechend ihren beruflichen Pflichten Patricia Schlesinger bei fachlichen Notwendigkeiten zu widersprechen? Außer dem üblichen Ende der Karriere glattweg nichts. Sie hätten einen goldenen Handschlag erhalten. So wie ein unliebsamer Mitarbeiter der RBB-Media, „der sollte da offenbar weg“. Er wurde fast ein Jahrzehnt vor dem regulären Renteneintritt in den Vorruhestand abkommandiert, die Entschädigung beträgt 100.000 Euro jährlich. Besonders mutig muss man unter den Umständen eines geschaffenen Schlaraffenlandes auf Kosten der Beitragszahler nicht sein.

Das Rechercheteam findet ausdrücklich NICHT, „dass man sämtliche Managementfehler und die gesamte Misswirtschaft im RBB an einer einzigen Person festmachen kann.“ Das mag sein, aber auch diese „Führungskräfte“ muss irgendjemand ausgesucht haben. Das mir dazu bekannte Prinzip lautet „Hans sucht Hänschen“ und es hat eine große Vermehrungsrate.

Das „Digitale Medienhaus“

Dieser Protzbau war neben den intransparenten Boni-Zahlungen und außertariflichen Gehältern, das größte Projekt in der Verantwortung Schlesingers.  Goll spricht bei den Planungen und Finanzierungen der Vorgänge von einem „dicken Brett“. Er indiziert, dass es bei einem 188-Mio. Vorhaben nicht möglich ist, dass nur die Ex-Intendantin davon gewusst haben kann. Von Blazekovic bestätigt, dass die inzwischen freigestellte Leiterin der Intendanz über ihre Anwälte mitteilen ließ, dass die Geschäftsleitung von den Zahlen des Baus gewusst habe. Goll wendet ein, es ändere nichts daran, dass einzelne Personen der Intendanz in der Lage gewesen sein könnten, „einzelne Entscheidungen an den Kontrollmechanismen vorbei zu organisieren“. Das betrifft auch die Beraterverträge, die immer wieder verlängert wurden. Nun ist auch noch zu prüfen, ob gegen das Vergaberecht verstoßen wurde.

Boni-Zahlungen und der Staatsanwalt

Der Medienmann spricht konkret von den illegitimen Boni-Zahlungen, außerdem auch für Hauptabteilungsleiter und Abteilungsleiter und der „Dreistigkeit der RBB-Geschäftsleitung“, die über Jahre die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Gehälter der Intendantin und ihrer vier Direktorinnen getäuscht hat. Falsche Zahlen standen da, die jegliche Transparenz verhindert hätten. Angegeben wurden lediglich die Grundgehälter. Auch die Berliner Staatsanwaltschaft habe verstanden, dass wegen Untreue öffentlicher Gelder ermittelt werden muss. Goll spricht konkret von „krimineller Energie“.

Die Karawane zieht weiter

Routine zieht wieder ein. Der Journalist empört sich über die vertanen Chancen. So erhalte die nachfolgende Interimsintendantin fast so viel Gehalt wie Schlesinger. Fraglich ist auch, ob man sich weiterhin 40 außertarifliche Verträge gönnen will und ob überhaupt Verträge neu ausgehandelt werden? Den entstandenen Schlamassel will er keinesfalls an einer einzelnen Person festmachen. Andererseits wird der „Journalismus als niedere Tätigkeit im Haus bewertet“. Denn um die Inhalte müsste es in dieser Sendeanstalt normalerweise primär gehen.

Mein Eindruck: Das Thema ist hochaktuell und nach der deutschlandweiten Berichterstattung zu urteilen, alles andere als nur auf den RBB beschränkt. Ebenso sind der NDR, MDR und der Bayerische Rundfunk ins Gerede gekommen. Nur die Spitze eines Eisberges? Wie hoch das Dunkelfeld unter der schönen Oberfläche der Erfolgsmeldungen, gegenseitigen Ehrungen und Hochglanzfotos brodelt, kann nur vermutet werden. 

Das mit den Behörden des Öffentlichen Dienstes vergleichbare Hauen und Stechen über die Schuldfragen, sekundären Verantwortlichkeiten, echten oder falschen Verdächtigungen sind beim Berliner und Brandenburger Sender nach den vernommenen Zeilen im vollen Gange. Ist die Königin gestürzt, zeigen vor allem die Leitungs- und Gremienmitglieder mit dem Finger auf die ehemalige Herrscherin, die ihrer eigenen Verantwortung nicht nachgekommen sind. Es lohnt auf alle Fälle genauer nachzuschauen. Solche im Interview aufgezeigten, sich verselbstständigenden „Subkulturen“ funktionieren nur, wenn sich viele bereit erklären, mitzumachen und andere dazu schweigen. Notwendig ist dann auch, dass Kontrollinstanzen ihre Aufsicht verweigern. Deren Motive wären konsequent aufzuklären. Die Spanne kann von Unerfahrenheit, Überforderung, Opportunismus, Arbeitsverweigerung, Kumpanei bis zur Mittäterschaft reichen, um nur einige Gründe aufzuzeigen. Von vergleichbarer „Organisierter Kriminalität“ wäre zu sprechen, wenn Mitglieder eines Netzwerkes für die strafrelevanten gegenseitigen Begünstigungen durch die Justiz rechtskräftig abgestraft wurden. Zu beachten ist, dass sowohl für Patricia Schlesinger als auch für die anderen ins Visier geratenen Mitarbeiter bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung gilt. Ein rechtsstaatliches Prinzip, dass ich mir von manchen Verantwortlichen der Medien inklusive des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wünschen würde. Andere haben da weniger „Glück“.

Die Arbeit des Rechercheteams in allen Ehren, die damit einhergehenden Grenzen der Aufklärung werden sich zeigen. Im Gegenteil, die engagierten Journalisten könnten sogar als Feigenblatt einer angeblich neuen Transparenz missbraucht werden.

Trotz aller Unkenrufe zum Trotz weiß ich aus eigener Erfahrung, dass auch beim RBB viele anständige Journalisten arbeiten. Ob sie ihre beruflichen Kreationen ausleben können oder wie in mindestens einem anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunksender „Vorgaben“ und „Wünsche“ bis hin zu inhaltlichen Eingriffen zu ertragen haben, soll an dieser Stelle nicht mein Thema sein. Ob der RBB überhaupt reformfähig ist, darf ich für mich in Frage stellen. Die Schäden könnten sich als irreparabel erweisen. Der Sender liegt beim Zuschaueranteil aller öffentlich-rechtlicher Anstalten seit langer Zeit auf dem letzten Platz. Für ein ausgewogenes Programm fehlt offensichtlich der Wille, das richtige Führungspersonal und Geld. Die Gebühren sind noch da, sie können sich nur auf privaten Konten durch überhöhte Gehälter, zusätzlichen Boni-Zahlungen und „Beraterverträgen“ u. v. m. befinden.

Steffen Meltzer ist Herausgeber des Sammelwerkes mehrerer Autoren „Die hysterische Republik“ (12,00 Euro)