Autorin: Annette Heinisch

Damit eine Einwilligung wirksam ist, muss sie nicht nur freiwillig erfolgen, sondern aufgrund einer umfassenden Aufklärung. Art und Umfang der Aufklärungspflicht sind in § 630 e Bürgerliches Gesetzbuch ausdrücklich geregelt. Dort heißt es:

(1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.

Bei „Neulandmethoden“ hat der Bundesgerichtshof die Anforderungen an die individuelle Aufklärung sogar noch verschärft, was wiederum den Grundsätzen des Nürnberger Kodex entspricht.

Die Tatsache, dass es sich um eine sogenannte experimentelle Neulandmethode handelt, ergibt sich auch aus dem Aufklärungsbogen des RKI, wenn z. B. darauf hingewiesen wird:

“Allerdings liegen aufgrund der Studiengröße bei Zulassung und der vergleichsweise kurzen Beobachtungszeit nach Impfung in den Ländern, die bereits in dieser Altersgruppe impfen, bisher noch keine ausreichenden Daten vor, um seltene und sehr seltene unerwünschte Wirkungen erkennen zu können. Auch zum möglichen Risiko einer Herzmuskelentzündung nach einer Auffrischimpfung liegen aktuell noch keine ausreichenden Daten vor.“ (RKI Stand 14.1.2022)

Dass Langzeitfolgen aufgrund fehlender Langzeiterfahrungen unbekannt sind, ist ebenfalls klar.

Der Patient muss grundsätzlich vom Behandelnden persönlich aufgeklärt werden, es muss zudem zwischen Aufklärung und Einwilligung ausreichend Zeit verbleiben. Eine halbe Stunde reicht regelmäßig nicht.

Gerade in Impfzentren läuft das Verfahren aber anders ab. Entweder der Patient erhält vorab im Internet einen Aufklärungsbogen oder aber vor Ort. Damit kann und muss er sich selbst aufklären, es wird nicht geprüft, ob er die Informationen aufgrund sprachlicher oder intellektueller Barrieren überhaupt versteht. In einem vorgefertigten Bogen hat er zumeist darin einzuwilligen, dass er auf eine ärztliche Aufklärung verzichtet, insoweit wird das vom RKI zur Verfügung gestellte Musterformular häufig zur Anwendung kommen.

Ein Aufklärungsverzicht ist prinzipiell bei kleineren Routineeingriffen möglich:

Dass eine mündliche Aufklärung nicht in jedem Fall erforderlich ist und Patienten konkludent auf ein Gespräch verzichten können, entspricht auch der Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs. Danach kann ein Arzt im Hinblick auf den Routinecharakter einer öffentlich empfohlenen Impfung ausnahmsweise davon ausgehen, dass der Patient auf eine zusätzliche gesprächsweise Risikodarstellung keinen Wert legt. Bei solchen Impfungen kann es genügen, wenn den Patienten nach schriftlicher Aufklärung Gelegenheit zu einem ärztlichen Gespräch gegeben wird.

Bei Routineimpfungen kann also eine schriftliche Aufklärung ausreichen. Nur handelt es sich bei den derzeitigen Impfungen zwar um eine Massenkampagne, aber gerade nicht um eine Routineimpfung. Dem steht der Aspekt der Neulandmedizin entgegen, der ganz andere und höhere Anforderungen an die Aufklärung stellt. Wenn dennoch keine persönliche Aufklärung erfolgt, ist dieses kritisch zu beurteilen auch unter dem Aspekt, dass gerade dadurch dem Patienten der irrige Eindruck einer erprobten Routine vermittelt wird.

Der Aufklärungsbogen selbst ist zudem nicht vollständig.  Beispielsweise fehlt jeder Hinweis auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder Kontraindikationen wegen Vorerkrankungen; auch ein Hinweis auf potentiell mögliche Langzeitfolgen ebenso wie die Darstellung der Alternativen zu der Maßnahme, z. B. Medikamente. Allein schon deshalb dürfte er als Grundlage des Handelns fragwürdig sein.

Bezüglich vieler Risiken liegen valide Erkenntnisse derzeit objektiv noch nicht vor, d. h., es kann nicht hinreichend aufgeklärt werden. Genau darüber müsste ein Patient allerdings vollumfänglich informiert werden.

Inwieweit die nebenvertragliche Sorgfaltspflicht gerade bei staatlichen Impfstellen sogar eine gezielte und aktive Erforschung der Risiken, Neben- und Wechselwirkungen gebietet, ist eine juristisch spannende Frage. Erforderlich für eine valide Risikoeinschätzung ist jedenfalls die Sichtung und Bewertung von wissenschaftlichen Untersuchungen, z. B. regelhaften Obduktionen in Zweifelsfällen, die aber nicht durchgeführt werden. Zudem müssten auch unterschiedliche, fachlich basierte Auffassungen Gehör finden und berücksichtigt werden. Das Gegenteil ist der Fall. So lange dieses unwissenschaftliche Vorgehen an der Tagesordnung ist, sind die Risikoanalysen grob fehlerhaft.

De facto basieren wesentliche Aussagen bezüglich der Wirksamkeit auf einer lediglich statistischen Grundlage, ohne wissenschaftliche Überprüfung und Analyse. Die dabei verwandten Daten haben sich als (höflich formuliert) unzuverlässig erwiesen. Eine Aufklärung, die aber auf „Datenschrott“ basiert, ist keine.

Selbst bei nur kursorischer Prüfung und ohne tiefergehende Fachkompetenz zeigen sich gravierende Mängel der Einwilligung und Aufklärung. Vor diesem Hintergrund ist die Einschätzung des Fachkollegen, das derzeitige Verfahren der Massenimpfung sei in vielen Bereichen als „Exzess der Illegalität“ zu bezeichnen, durchaus nachvollziehbar.

Angesichts der unstreitigen Tatsache, dass eine Impfpflicht für die Omikron-Welle ohnehin zu spät kommt, ist Eilbedürftigkeit bezüglich der Frage der Impfpflicht objektiv nicht vorhanden. Daher wäre es mehr als ratsam, eine Abstimmung darüber nicht in der derzeit aufgeladenen Stimmung vorzunehmen. Vielmehr wäre es sowohl zur Vertrauensbildung wie auch zur Rechtssicherheit nötig, zunächst einmal eine sachlich valide Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Das heißt konkret, kein Datenmüll mehr und fachlich versierte Stimmen, gerade auch die kritischen, werden berücksichtigt.

Auch das Ausgrenzen und Unterdrucksetzen von völlig gesunden Mitbürgern, die keinerlei Gefahr darstellen, muss aus o. g. Gründen sofort aufhören.

Wenn sich die erhitzen Gemüter beruhigt haben, können Entscheidungen deutlich besser und sachorientierter erfolgen. Derzeit scheint ein panikinduzierter, wilder Aktivismusmodus in der Politik am Werk zu sein, der unser Land schreddert. Immerhin hat sich erwiesen, dass „Ruhe bewahren“ ein wirklich kluger Rat ist.

Recht fällt nicht vom Himmel. Es ist der in Worte gefasste Geist der Gesellschaft. Dass ausgerechnet Deutschland die schärfsten Maßnahmen bei der Pandemiebekämpfung hat, obgleich aufgrund der Kapazitäten im Gesundheitswesen nur die mildesten vertretbar wären, nun sogar eine allgemeine oder weitere gruppenbezogene Impfpflichten ernsthaft diskutiert werden, wird angesichts der deutschen Geschichte von vielen nicht nur im Inland mit äußerstem Befremden zur Kenntnis genommen. Auch dieser Aspekt spricht dafür, die „Pause-Taste“ zu drücken.

Annette Heinisch: Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank – und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht. Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig. Sie ist Mitautorin der Buchneuerscheinung Die hysterische Republik.


Anm. Steffen Meltzer: Bei Gastbeiträgen handelt es sich um persönliche Meinungen der jeweiligen Autoren. Die Bewertungen überlasse ich erwachsenen und mündigen Lesern. Meiner Kommentare bedarf es dazu nicht.