Von Steffen Meltzer.
Die neue deutsche Mathematik weist nach: 1 +1 = 1. Oder: Wie uns ein Wissenschaftler weismachen will, dass die Zahl der ethnisch bedingten Massenschlägereien zwar steigt, die Gesamtzahl dieser Gewalttaten in Deutschland jedoch keineswegs zunehme.
Diplom-Psychologe Thomas Bliesener, Direktor des „Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V.“ (KFN), gibt seinen Gefühlen in einem „Focus“-Interview freien Lauf. Selbstverständlich habe sich die Zahl der Massenschlägereien in Deutschland nicht erhöht. Einen Beweis für diese steile These hat er nicht und räumt freimütig ein, keine Erhebungen und Statistiken für diese Behauptung zu kennen. Im feinen Konjunktiv („dürfte“) gibt er sein subjektives Sicherheitsempfinden wieder. Es ist genau dieser ganz persönliche Eindruck, den „Experten“ und manche Politiker der Bevölkerung als „realitätsfern“ in einer Dauerschleife vorhalten. Ganz nach dem Motto von Berthold Brecht: „Sie haben Angst vor Kriminalität? Lesen Sie eine andere Tagesszeitung!“ Nun beteiligt sich auch der KFN-Leiter an Vermutungen, wie sich die Zeiten ändern. Einst habe ich dieses Institut sehr geschätzt und selbst eine ganze Reihe an Studienergebnissen in meinen Arbeiten und dem Sachbuch „Ratgeber Gefahrenabwehr“ verwendet.
Gut kann ich mich noch daran erinnern, wie 2015 vehement bestritten wurde, dass die Kriminalität als Folge der sogenannten Flüchtlingskrise zunehmen wird. Es ist das Einmaleins der Kriminalistik für „arme Leute“, dass keine Altersgruppe weltweit mehr Straftaten begeht als junge Männer. Als die polizeilichen Kriminalstatistiken zwei Jahre später genau diese Tatsache belegten, wurde diese Binsenweisheit plötzlich das mediale Argument Nr.1. zu den dann doch „objektiv“ wahrgenommen gesellschaftlichen Veränderungen. Als Trigger erwiesen sich dabei die Massenstraftaten zugereister Männer in der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte. Ebenso wie junge Deutsche verstoßen auch auch gleichaltrige Flüchtlinge und Zuwanderer überdurchschnittlich oft gegen Strafgesetze. Wäre ja auch noch schöner, wenn das nicht so wäre. Nun ja, es kommt darauf an, aus welchem Land die Flüchtlinge Asyl beantragen, jeder dritte Lybier ist kriminell, berichtet der sächsische Innenminister.
Prof. Bliesener bleibt keine andere Wahl, als uns zu erzählen, dass die Massenschlägereien der verschiedenen ethnischen Gruppen zugenommen haben. Bei hunderttausenden „jungen Männern“ nach dem Gesetz der Serie sowieso unbestreitbar. Aber wenn dieser Anteil zunimmt, wieso steigt dann nicht der Gesamtanteil dieser Straftaten? Falsch. Sind wir wieder bei 2015 angekommen? Nein, eins plus eins ist nicht eins, sondern zwei. Es ist die gleiche Logik wie wenn behauptet wird, an den Ausschreitungen während des G20-Treffens seien keine linken Straftäter beteiligt gewesen und überhaupt sei die Polizei an allem „schuld“.
Ein alter Leitsatz beim Militär lautet: „Wer befiehlt, muss sicherstellen!“
Der Experte kann als unschlagbares Argument die „kasernierte“ Unterbringung der Migranten anführen. Kein Wunder also, wenn die sich auch mal prügeln. Ich hätte mir schon damals gewünscht, die Flüchtlinge und Einwanderer menschenwürdiger unterzubringen. Ein alter Leitsatz beim Militär lautet: „Wer befiehlt, muss sicherstellen!“ Wer Menschen ins Land holt, muss auch die Voraussetzungen dazu schaffen. Jetzt unsere Versäumnisse als Ausrede für Massenschlägereien anzuführen, riecht mir sehr nach „die armen Burschen können gar nicht anders“ und „wir sind alle daran schuld“.
Das war aber noch nicht genug, der Psychologe sieht auch keine „grundlegenden“ Unterschiede bei der Reizschwelle im Konfliktfall. Nur die Traumatisierung könne dazu führen, dass diese „gelegentlich“ tiefer liege. Hier werden gekonnt die kulturellen Besonderheiten der Herkunftsländer unter den Tisch gekehrt. Menschen aus Krisenregionen wie zum Beispiel Afghanistan können nicht nur traumatisiert sein, sondern ebenso eine gänzlich andere Auffassung zur Beilegung von Streitigkeiten in sich tragen. Sicherheitskräfte, die diesen Fakt im Auslandseinsatz nicht beachten, laufen zusätzlich Gefahr, getötet zu werden. Bewohner anderer Länder können beispielsweise eine grundlegend andere Schießschwelle besitzen, Polizisten und Soldaten mit einer „Sozialromantik“, die diese Grundlagen der Eigensicherung außer Acht lassen würden, wären völlig ungeeignet und potentielle Opfer. Deshalb gibt es in der Bundeswehr weniger Sozialromantiker als Pädagogen. Die wollen überleben!
Da wir bei weiten nicht immer wissen, welche Personen nach Deutschland gekommen sind, sind gegenwärtige Pauschalurteile wie sie Prof. Bliesener vornimmt, meines Erachtens völlig fehl am Platz. Richtig ist, dass ein großer Teil der echten Flüchtlinge traumatisiert ist; richtig ist auch, dass diese Menschen aus einem für Außenstehende unerklärlichen „Nichts“ hochgradig aggressiv reagieren können. Das trifft im Übrigen auf traumatisierte Deutsche ebenso zu. Was der Professor nicht anführt: Nicht jeder, der an einer PTBS (Posttraumatischen Belastungsstörung) erkrankt, begeht Straftaten, und längst nicht jeder, der aus Krisen- und Kriegsregionen stammt, leidet zwangsläufig unter dieser Erkrankung/Störung.
Stark verniedlichend ist es auch, die neuen Massenschlägereien mit den „Keilereien auf einem Dorffest“ zu vergleichen. Das entschuldigt erst einmal gar nichts, es wäre mir auch neu, immer wieder von Messerstechereien von einer Kirmes Kenntnis erhalten zu haben. Da auch der dreißigjährige Krieg schon ein paar Monate zurückliegt, habe ich auch noch nicht gehört, in Deutschland sei es üblich, dass sich evangelische Christen immer wieder mit Katholiken prügeln.
Den krönende Abschluss des Interviews bilden die „Handlungsempfehlungen“ an die Polizei zur Verhinderung von Massenschlägereien ethnischer Gruppen. Demnach wäre es von Vorteil, wenn die Beamten die „Anführer“ kennen würden, mit ihnen reden und diese überzeugen könnten, die Zusammenstöße zu vermeiden. Humor soll ebenfalls hilfreich sein. Der Experte verwechselt hier sicherlich die Absprachen und Hinweise der Polizei vor brisanten Fußballspielen mit den Fans oder bei Demonstrationen und Gegenkundgebungen. Wenn mehrere Funkstreifenwagen bei Schlägereien eingesetzt werden, ist nicht selten bereits eine konkrete Gefahr eingetreten. Für eine umfangreiche Konversation und „Humor“ verbleibt dann oft keine Zeit. Die unmittelbare Gefahrenabwehr hat Vorrang. Lasst „dicke Männer zum Reden um mich sein“ geht dann fehl, sondern lasst „entschlossene Beamte um mich sein“ die lageangepasst professionell einschreiten – ist besser. Das betrifft auch die Einsatzkommunikation als unterste Stufe, diese gefährlichen Straftaten zu unterbinden bzw. zu beenden. „Deeskalation“ ist es eben nicht, auf dieser Stufe stehen zu bleiben, wenn die polizeilichen Maßnahmen nicht anders durchgesetzt werden können. Das wird oft verwechselt.
PS.: Der ehemalige KFN- Direktor, Prof. Christian Pfeiffer war von 2000 bis 2003 für die SPD niedersächsischer Justizminister.
Der Text ist auch nachlesbar in der Buchneuerscheinung “Schlussakkord Deutschland”.
Hinterlassen Sie einen Kommentar