von Steffen Meltzer
Am 19. Dezember 2023 begann ein Prozess gegen fünf Polizeibeamte. Der Einsatz von Pfefferspray, Taser und Schusswaffe sei rechtswidrig gewesen.
ie Medienberichte zu diesem Fall sind im Wesentlichen bekannt. Der polizeiliche Einsatz hatte im Sommer 2022 für großes Aufsehen gesorgt. Im Schnelldurchlauf: Der 16-jährige (?) Mouhamed Dramé soll an einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome erkrankt sein. Er wurde zuvor, mutmaßlich auf eigenen Wunsch, in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Die Ärzte stellten „keine Suizidgefahr“ fest und entließen den jungen Mann. Der landete in einer Jugendeinrichtung „St. Elisabeth“ in der Dortmunder Nordstadt. Dort soll er sich ein Haushaltsmesser mit einer 20 Zentimeter langen Klinge an den Bauch gehalten haben. Ein Heimbetreuer rief daraufhin die Polizei. Nachdem Zivilpolizisten inklusive einer mehrsprachigen deutsch-portugiesischen Beamtin bei der Lagebewältigung keinen Erfolg hatten, ordnete der Einsatzleiter gegenüber uniformierten Polizisten an, Pfefferspray zur Entwaffnung einzusetzen. Die Lage lief dabei aus dem Ruder.
Auf die politischen „Nebengeräusche“ der immer gleichen „Aktivisten“, die im Grunde genommen der Versuch sind, auf den Prozess Einfluss zu nehmen, wird hier aus Platzgründen nicht weiter eingegangen. Diese Kampagnen sind allerdings nicht zu unterschätzen. Ich werde meine Auffassung, ausgehend von den bisher bekannten Tatsachen bzw. Annahmen zu diesem Einsatz, kundtun bzw. zum Verfahren mitteilen.
Nachdem alle Fachexperten aus den Bereichen Integration, Pädagogik, Psychologie, Psychiatrie etc. keine Lösungen im Umgang mit dem Senegalesen fanden, sollte die Polizei innerhalb einer kurzen Zeit den Feuerwehrmann machen. Nun muss man wissen, dass der Fortbildungsstand beim Umgang mit (tatsächlich) erkrankten oder gestörten Personen im polizeilichen Einsatz als sehr unterschiedlich zu bewerten ist. Dabei spielen nicht nur das Studium bzw. die Ausbildung, Fortbildungsseminare und Trainings, sondern auch Lebens- und Berufserfahrung sowie das Interesse für diese spezielle Problematik eine wesentliche Rolle (siehe hierzu Steffen Meltzer in „Deutsche Polizei“ ab Seite 4 hier und ab Seite 21 hier).
Die Beamten gingen gemäß ihrer Vorinformationen wahrscheinlich von einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben aus (Suizidrisiko einer Person) und rückten mit zwölf Beamten an. Davon ausgehend, dass der später Getötete bereits im Vorfeld in Erscheinung getreten war, muss das bei der Beurteilung der Lage zur Gefahrenabwehr eine wichtige Rolle gespielt haben.
Wer sich ein Messer an den Bauch hält und eine entsprechende Vorgeschichte hat, für die selbst Fachexperten keine Lösung hatten, ist eine konkrete Gefahr für sich und andere (Bürger, Polizisten). Die „statische Lage“ kann tatsächlich jederzeit in eine dynamische Lage umschlagen. Darauf müssen die Beamten vor Ort vorbereitet sein. Was konkret den Einsatzleiter zum „Zugriffsbefehl“ (Person entwaffnen), sprich dem Einsatz von Pfefferspray veranlasst hat, muss deshalb in diesem Prozess genauestens geklärt werden.
Es ist bekannt, dass dieses Einsatzmittel mitunter seine Wirkung verfehlt, vor allem bei psychisch stark erregten Personen und/oder Menschen, die unter Alkohol bzw. illegalen Drogen stehen. Es gibt Videos, die aufzeigen, dass Messerangreifer von Pefferspray völlig unbeeindruckt sind und ihr mörderisches Werk fortsetzen. Die Polizisten vor Ort konnten demzufolge nicht ausschließen, dass sie dennoch von dem Messermann angegriffen werden und haben ihre Kollegin mit Tasern und der Maschinenpistole MP5 abgesichert.
Der Befehl des Einsatzleiters hat eine Folgekette an Ereignissen ausgelöst. Die Anwendung der Tasers war folgerichtig, da der Messermann (wohl) auf die Beamten zugerannt ist. Hier sollen sich jedoch die bisherigen Zeugenaussagen in den bisherigen Ermittlungen widersprechen. Zwei Beamte schossen ihre Taser ab, von denen nur einer traf. Es stehen lediglich Medieninformationen (die sich aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ergeben) zur Verfügung, daraus folgernd sind mehrere Umstände objektiv zu ermitteln:
- Welche Informationen hat der Beamte an der MP5 aufgenommen, bevor er entschieden hat, die Waffe einzusetzen?
- Wie war sein konkretes Sichtfeld beschaffen?
- Welche Zeit insgesamt und welche persönlichen Wahrnehmungen standen ihm für seine Entscheidung zur Verfügung?
- Hat er bemerkt, dass ein Taser sein Ziel verfehlt hat und den zweiten Taser, der traf, überhaupt registriert? Falls ja, wie war aus seiner Sicht dessen Wirkung?
- Welche Fluchtrichtung der eingesprühten Person nahm der Kommissar an der Waffe wahr?
- Wie hielt der Senegalese sein Messer und mit welcher Geschwindigkeit bewegte er sich auf die Beamten zu? Oder „flüchtete“ er?
- Hat die Staatsanwaltschaft das alles andere als selten vorkommende Phänomen „Suicide by Cop“ in ihren Ermittlungen einbezogen? Dabei lassen sich Menschen mit suizidaler Absicht vorsätzlich durch Polizisten erschießen, indem sie diese mit Angriffen etc. provozieren.
Die Handhabungssicherheit an der MP5 von Heckler & Koch ist bei den Beamten sehr verschieden trainiert und ausgeprägt. Suboptimal trainierte Beamte haben dann nicht mehr genügend freie Informationseinheiten zur Verfügung, um die Waffe ausreichend professionell einzusetzen, währenddessen gut trainierte Beamte damit keine Probleme haben. Auch dieser Umstand wäre aus meiner Sicht zu klären. Wie oft wurde an der MP5 trainiert? Hatte der Polizeibeamte überhaupt die dienstliche Möglichkeit, ausreichend seine Fähigkeiten an der Waffe zu erhalten oder zu verbessern?
Dieser Beitrag soll keinesfalls zum Nachteil des Schützen gedeutet werden. Immer mehr Probleme im Land und ein Aufgabenzuwachs für die Polizei haben dazu geführt, dass auch hier und da an den Trainingszeiten gedreht wurde. Das darf dem Beamten, falls das zutreffen könnte, nicht nachteilig ausgelegt werden. Es sind vielmehr weitere Informationen notwendig. Die angeklagten Polizeibeamten müssen nun ausbaden, was ihnen andere eingebrockt haben.
Steffen Meltzer ist Autor des Buches „Ratgeber Gefahrenabwehr“
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