Foto, Grafik, Text: Alle Rechte Steffen Meltzer

 

„Wer ins Stadion geht, begibt sich in Lebensgefahr?“

Dieser polemische Ausspruch machte vor wenigen Jahren in Deutschland die Runde und erreichte eine hohe mediale Aufmerksamkeit. Der Spruch traf zwar nie wirklich zu, hat aber immerhin dem Verfasser einiges an Bekanntheitsgrad verliehen. Offensichtlich ließen sich davon in der Saison 2011/2012 nach den Angaben der ZIS (Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze) 18,7 Mio. Stadionbesucher nicht abschrecken. Die Polizei verwies dabei auf 1185 Personen, davon 235 Polizeibeamte, die im Zusammenhang mit Spielen der ersten beiden Ligen verletzt wurden. Selbstverständlich ist jeder Verletzte einer zu viel, erst recht, wenn es um die eigenen Kollegen geht.

In vier aufeinanderfolgenden Teilen werde ich versuchen zu beschreiben, was es mit der Gewalt im Fußball so auf sich hat und vor allem für alle Seiten wie Vereine, Zuschauer, Politik und Polizei mit sich bringt.

Viele von uns kennen die alten Herren, die am Spielfeldrand stehen und von ihren goldenen, aber längst vergangenen Fußballzeiten sprechen. Wie technisch perfekt damals gegen den Ball getreten wurde, wie jede Chance ein Tor war, der Torwart fast jeden Elfmeter hielt und, ach ja, diese Gewalt, das gab es damals auch nicht. Nur gut, dass von den staunend zuhörenden jungen Burschen und Mädchen Opas Märchenerzählungen nie jemand nachprüfen wird.

Gewalt und Fußball – eine unendliche Geschichte?

Schauen wir doch einmal ein wenig in die Geschichte. Nach den alten Chinesen spielte man einen ähnlichen Wettkampf schon bei den Mayas und Azteken. Dort verstarben schon während des Spiels einige Akteure aufgrund beigebrachter Verletzungen. Nein, nicht die Verlierer wurden geopfert, sondern, welch Auszeichnung, die Gewinner. Nach Spielende war es die höchste Ehre, den Göttern dargeboten zu werden. Das Ritual zur Ergötzung der Massen war entsprechend blutig.

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Nun, ganz so schlimm war es in Europa nicht. Ab den 12 Jh. spielten in England zwei Dörfer gegeneinander. Bis ins 19 Jh. gingen diese Spiele, dabei waren Massenprügeleien mit Stoßen, Treten und Schlagen erlaubt und üblich. Ernste Verletzungen waren dabei alles andere als außergewöhnlich. Diese Spiele wurden schon damals von der Obrigkeit misstrauisch beäugt und es gab immer wieder Versuche, diese zu verbieten, weil man darin eine Bedrohung der sozialen Ordnung sah. Vom Jahr 1830 an versuchte man es anders, um „dem unliebsamen Ding“ Herr zu werden, das Spiel wurde an den höheren Schulen der Adeligen und des Bildungsbürgertums eingeführt. Damit verbunden waren die Ausbildung von charakterlichen Eigenschaften wie Fairness, Teamgeist, Durchsetzungsvermögen und Selbstbeherrschung, wie es damals bei der Führungselite in England erwünscht war und noch heute unabdingbare Tugenden im Kulturkreis Westeuropas sind. Ab 1863 erfolgte die Geburtsstunde des modernen Fußballs. Die Football Association (FA) wurde gegründet, um den Wildwuchs einzudämmen. Damit verbunden war ein Regelwerk. So war es damals noch gestattet, den Torhüter umzuwerfen und wegzutragen. Allerdings war es ausdrücklich nicht erlaubt, diesen ins Tor zu bugsieren. Erst 1896 wurde festgeschrieben, dass das Spielfeld frei von Bäumen und Sträuchern sein muss. Später durften in Deutschland die Schiedsrichter von den Spielern Bußgelder für rüde Fouls einfordern, welche nach Spielende vom Referee eingesammelt wurden. Was danach mit dem Geld passierte, zum Beispiel ob man es in Kneipen gemeinsam vertrank, ist mir allerdings unbekannt geblieben.

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Die ersten Vereine in Deutschland wurden von Engländern gegründet. Trotzdem beteiligten sich deutsche Oberschüler an der „englischen Krankheit“, bevor es die Rektoren verboten, weil es so ein blutiges Spiel sei. Aber auch bei uns ging die Entwicklung rasch voran. Neben dem dominierenden Turnsport entdeckte bald die deutsche Kriegsmarine, noch vor dem Ersten Weltkrieg, ihr ach so sportbegeistertes Herz für den Fußball. Das Militär hatte gemerkt, dass ein Fußballfeld dem eines Schlachtfeldes strategisch durchaus ähnlich sein konnte. Die jungen Soldaten konnten so sehr gut für den Kampfeinsatz durch Eigenständigkeit und Wettkampfhärte fitgemacht werden. Zu erkennen auch noch daran, dass seit dieser Zeit sehr viele Vokabeln im Fußball dem militärischen Sprachgebrauch entstammen. Erinnert sei an Begriffe wie „Bomber der Nation, Abwehrschlacht, Bombenschuss, Verteidigung, Flanke, Duell Mann gegen Mann“ oder „Zweikampfhärte, Gegner niedergekämpft“ usw. Während Fußball in England ein Arbeitersport war, wurde der Sport in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg vorwiegend ein Angestelltensport. Diese hatten mehr Freizeit und ein besseres Einkommen, so dass sie sich auch die relativ teure Ausrüstung leisten konnten. Immerhin kamen nunmehr sogar einige hundert Zuschauer zu den Spielen. Auch erfolgte in England viel eher eine Professionalisierung, die im Nationalsozialismus nicht zugelassen war, da Hitler im Profifußball ein „jüdisches Element“ sah (Jonas Gabler, die Ultras). Die großen Sportverbände wurden aufgelöst und stattdessen eigene sogenannte Gau- Ligen geschaffen.

In der Nachkriegszeit entwickelte sich der Fußballsport in beiden Hälften Deutschlands als „typischer Proletensport“. 1949 erfolgte in der Ostzone die Gründung einer eigenen Liga, die bis 1991 erhalten blieb. Durch eine starke politische Einflussnahme wurden einige ehemals bürgerliche Vereine, beispielsweise der Deutsche Meister von 1943/44 Dresdner SC 1898, zerschlagen, andere Vereine in BSG (Betriebssportgemeinschaften) umstrukturiert bzw. wie die SG Dynamo Dresden, 1.FC Union Berlin und nicht zu vergessen Energie Cottbus gegründet. Einige erfolgreiche Mannschaften wurden auch komplett „delegiert“, beispielsweise um in Berlin oder wie beim neu gegründeten FC Hansa Rostock Fußballhochburgen aufzubauen. Dass das nicht immer gutging, bewiesen die Spieler, die daraufhin ihren Verein und die DDR verließen. Beispielsweise der Dresdner Helmut Schön, der spätere Weltmeistertrainer der Bundesrepublik. In Westdeutschland wurde bis 1963 in fünf Oberligen gespielt. Ab 1963 begann die Erfolgsgeschichte der Bundesliga. Kommerz spielte damals noch eine untergeordnete Rolle. Die Spieler waren aus der Gegend und „zum Anfassen“. Mit ihnen konnte man in der Kneipe noch gemeinsam ein Bier trinken. Außerdem gab es Gehaltsobergrenzen und deshalb gingen fast alle Spieler einer „ordentlichen“ Tätigkeit nach. Das änderte sich in der Bundesrepublik jedoch schlagartig nach dem Weltmeistertitel 1974.

Mit der verstärkten Kommerzialisierung kamen Gewaltprobleme auf, die übrigens auch vor der DDR nicht haltmachten. Die nächste Folge soll die heute noch gegenwärtige Gewaltentwicklung ab den 70er-Jahren beschreiben, über Hooligans und Rechtsradikale und der Rolle im Fußballsport.

Steffen Meltzer, veröffentlicht in  „Deutsche Polizei“ Landesausgabe Sachsen 01/2014 und Landesausgabe Brandenburg 08/2013

Grafiken siehe kompletten PowerPoint-Vortrag:hier

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